than mit einem kühnen Bekenntnisse, wie in frü¬ heren Zeiten, wo die Blutzeugen ein rasches Scha¬ fott fanden oder den jubelnden Holzstoß. Das Wesen des Martyrthums, alles Irdische aufzu¬ opfern für den himmlischen Spaß, ist noch immer dasselbe; aber es hat viel verloren von seiner in¬ nern Glaubensfreudigkeit, es wurde mehr ein re¬ signirendes Ausdauern, ein beharrliches Ueberdul¬ den, ein lebenslängliches Sterben, und da geschieht es sogar, daß in grauen kalten Stunden auch die heiligsten Märtyrer vom Zweifel beschlichen werden. Es giebt nichts Entsetzlicheres als jene Stunden, wo ein Markus Brutus zu zweifeln begann an der Wirklichkeit der Tugend für die er alles geopfert! Und ach! jener war ein Römer und lebte in der Blüthenzeit der Stoa; wir aber sind modern weicheren Stoffes, und dazu sehen wir noch das Gedeihen einer Philosophie, die aller Begeisterung nur eine relative Bedeutung zu¬
than mit einem kuͤhnen Bekenntniſſe, wie in fruͤ¬ heren Zeiten, wo die Blutzeugen ein raſches Scha¬ fott fanden oder den jubelnden Holzſtoß. Das Weſen des Martyrthums, alles Irdiſche aufzu¬ opfern fuͤr den himmliſchen Spaß, iſt noch immer daſſelbe; aber es hat viel verloren von ſeiner in¬ nern Glaubensfreudigkeit, es wurde mehr ein re¬ ſignirendes Ausdauern, ein beharrliches Ueberdul¬ den, ein lebenslaͤngliches Sterben, und da geſchieht es ſogar, daß in grauen kalten Stunden auch die heiligſten Maͤrtyrer vom Zweifel beſchlichen werden. Es giebt nichts Entſetzlicheres als jene Stunden, wo ein Markus Brutus zu zweifeln begann an der Wirklichkeit der Tugend fuͤr die er alles geopfert! Und ach! jener war ein Roͤmer und lebte in der Bluͤthenzeit der Stoa; wir aber ſind modern weicheren Stoffes, und dazu ſehen wir noch das Gedeihen einer Philoſophie, die aller Begeiſterung nur eine relative Bedeutung zu¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0131"n="117"/>
than mit einem kuͤhnen Bekenntniſſe, wie in fruͤ¬<lb/>
heren Zeiten, wo die Blutzeugen ein raſches Scha¬<lb/>
fott fanden oder den jubelnden Holzſtoß. Das<lb/>
Weſen des Martyrthums, alles Irdiſche aufzu¬<lb/>
opfern fuͤr den himmliſchen Spaß, iſt noch immer<lb/>
daſſelbe; aber es hat viel verloren von ſeiner in¬<lb/>
nern Glaubensfreudigkeit, es wurde mehr ein re¬<lb/>ſignirendes Ausdauern, ein beharrliches Ueberdul¬<lb/>
den, ein lebenslaͤngliches Sterben, und da geſchieht<lb/>
es ſogar, daß in grauen kalten Stunden auch<lb/>
die heiligſten Maͤrtyrer vom Zweifel beſchlichen<lb/>
werden. Es giebt nichts Entſetzlicheres als jene<lb/>
Stunden, wo ein Markus Brutus zu zweifeln<lb/>
begann an der Wirklichkeit der Tugend fuͤr die<lb/>
er alles geopfert! Und ach! jener war ein Roͤmer<lb/>
und lebte in der Bluͤthenzeit der Stoa; wir aber<lb/>ſind modern weicheren Stoffes, und dazu ſehen<lb/>
wir noch das Gedeihen einer Philoſophie, die<lb/>
aller Begeiſterung nur eine relative Bedeutung zu¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[117/0131]
than mit einem kuͤhnen Bekenntniſſe, wie in fruͤ¬
heren Zeiten, wo die Blutzeugen ein raſches Scha¬
fott fanden oder den jubelnden Holzſtoß. Das
Weſen des Martyrthums, alles Irdiſche aufzu¬
opfern fuͤr den himmliſchen Spaß, iſt noch immer
daſſelbe; aber es hat viel verloren von ſeiner in¬
nern Glaubensfreudigkeit, es wurde mehr ein re¬
ſignirendes Ausdauern, ein beharrliches Ueberdul¬
den, ein lebenslaͤngliches Sterben, und da geſchieht
es ſogar, daß in grauen kalten Stunden auch
die heiligſten Maͤrtyrer vom Zweifel beſchlichen
werden. Es giebt nichts Entſetzlicheres als jene
Stunden, wo ein Markus Brutus zu zweifeln
begann an der Wirklichkeit der Tugend fuͤr die
er alles geopfert! Und ach! jener war ein Roͤmer
und lebte in der Bluͤthenzeit der Stoa; wir aber
ſind modern weicheren Stoffes, und dazu ſehen
wir noch das Gedeihen einer Philoſophie, die
aller Begeiſterung nur eine relative Bedeutung zu¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/131>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.