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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

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ihre Mährchen erzählen kann. -- Wenn einst, was
Gott verhüte, in der ganzen Welt die Freyheit ver¬
schwunden ist, so wird ein deutscher Träumer sie
in seinen Träumen wieder entdecken."

Während nun das Dampfboot, und auf dem¬
selben unser Gespräch, den Strom hinaufschwamm,
war die Sonne untergegangen, und ihre letzten
Strahlen beleuchteten das Hospital zu Greenwich,
ein imposantes palastgleiches Gebäude, das eigent¬
lich aus zwei Flügeln besteht, deren Zwischenraum
leer ist, und einen mit einem artigen Schlößlein
gekrönten, waldgrünen Berg den Vorbeifahrenden
sehen läßt. Auf dem Wasser nahm jetzt das Ge¬
wühl der Schiffe immer zu, und ich wunderte mich,
wie geschickt diese großen Fahrzeuge sich einander
ausweichen. Da grüßt im Begegnen manch ernst¬
haft freundliches Gesicht, das man nie gesehen hat,
und vielleicht auch nie wieder sehen wird. Man
fährt sich so nahe vorbei, daß man sich die Hände
reichen könnte zum Willkomm und Abschied zu

ihre Maͤhrchen erzaͤhlen kann. — Wenn einſt, was
Gott verhuͤte, in der ganzen Welt die Freyheit ver¬
ſchwunden iſt, ſo wird ein deutſcher Traͤumer ſie
in ſeinen Traͤumen wieder entdecken.“

Waͤhrend nun das Dampfboot, und auf dem¬
ſelben unſer Geſpraͤch, den Strom hinaufſchwamm,
war die Sonne untergegangen, und ihre letzten
Strahlen beleuchteten das Hoſpital zu Greenwich,
ein impoſantes palaſtgleiches Gebaͤude, das eigent¬
lich aus zwei Fluͤgeln beſteht, deren Zwiſchenraum
leer iſt, und einen mit einem artigen Schloͤßlein
gekroͤnten, waldgruͤnen Berg den Vorbeifahrenden
ſehen laͤßt. Auf dem Waſſer nahm jetzt das Ge¬
wuͤhl der Schiffe immer zu, und ich wunderte mich,
wie geſchickt dieſe großen Fahrzeuge ſich einander
ausweichen. Da gruͤßt im Begegnen manch ernſt¬
haft freundliches Geſicht, das man nie geſehen hat,
und vielleicht auch nie wieder ſehen wird. Man
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[153/0167] ihre Maͤhrchen erzaͤhlen kann. — Wenn einſt, was Gott verhuͤte, in der ganzen Welt die Freyheit ver¬ ſchwunden iſt, ſo wird ein deutſcher Traͤumer ſie in ſeinen Traͤumen wieder entdecken.“ Waͤhrend nun das Dampfboot, und auf dem¬ ſelben unſer Geſpraͤch, den Strom hinaufſchwamm, war die Sonne untergegangen, und ihre letzten Strahlen beleuchteten das Hoſpital zu Greenwich, ein impoſantes palaſtgleiches Gebaͤude, das eigent¬ lich aus zwei Fluͤgeln beſteht, deren Zwiſchenraum leer iſt, und einen mit einem artigen Schloͤßlein gekroͤnten, waldgruͤnen Berg den Vorbeifahrenden ſehen laͤßt. Auf dem Waſſer nahm jetzt das Ge¬ wuͤhl der Schiffe immer zu, und ich wunderte mich, wie geſchickt dieſe großen Fahrzeuge ſich einander ausweichen. Da gruͤßt im Begegnen manch ernſt¬ haft freundliches Geſicht, das man nie geſehen hat, und vielleicht auch nie wieder ſehen wird. Man faͤhrt ſich ſo nahe vorbei, daß man ſich die Haͤnde reichen koͤnnte zum Willkomm und Abſchied zu

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/167>, abgerufen am 21.11.2024.