Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Tiefe der Vernunft gegründet hat; wenn er noch¬
mals zu dieser Arbeit zurückgekehrt, Senkblei und
Richtmaß anlegt, um zu untersuchen, ob alles in
Ordnung ist, und mit einer Riesenhand zu prüfen
scheint, ob alles auch sicher zusammenhält; wenn
er die Gedanken aller Zuhörer mit Argumenten
festgebunden, wie mit Seilen, die keiner zu zer¬
reißen im Stande ist -- dann springt er gewaltig
auf das Gebäude, das er sich gezimmert hat, es
erhebt sich seine Gestalt und sein Ton, er be¬
schwört die Leidenschaften aus ihren geheimsten
Winkeln, und überwältigt und erschüttert die
maulaufsperrenden Parlamentsgenossen und das
ganze, dröhnende Haus. Jene Stimme, die erst
so leise und anspruchslos war, gleicht jetzt dem
betäubenden Brausen und den unendlichen Wogen
des Meeres; jene Gestalt, die vorher unter ihrem
eigenen Gewichte zu sinken schien, sieht jetzt aus,
als hätte sie Nerven von Stahl, Sehnen von
Kupfer, ja als sey sie unsterblich und unverän¬

17 *

Tiefe der Vernunft gegruͤndet hat; wenn er noch¬
mals zu dieſer Arbeit zuruͤckgekehrt, Senkblei und
Richtmaß anlegt, um zu unterſuchen, ob alles in
Ordnung iſt, und mit einer Rieſenhand zu pruͤfen
ſcheint, ob alles auch ſicher zuſammenhaͤlt; wenn
er die Gedanken aller Zuhoͤrer mit Argumenten
feſtgebunden, wie mit Seilen, die keiner zu zer¬
reißen im Stande iſt — dann ſpringt er gewaltig
auf das Gebaͤude, das er ſich gezimmert hat, es
erhebt ſich ſeine Geſtalt und ſein Ton, er be¬
ſchwoͤrt die Leidenſchaften aus ihren geheimſten
Winkeln, und uͤberwaͤltigt und erſchuͤttert die
maulaufſperrenden Parlamentsgenoſſen und das
ganze, droͤhnende Haus. Jene Stimme, die erſt
ſo leiſe und anſpruchslos war, gleicht jetzt dem
betaͤubenden Brauſen und den unendlichen Wogen
des Meeres; jene Geſtalt, die vorher unter ihrem
eigenen Gewichte zu ſinken ſchien, ſieht jetzt aus,
als haͤtte ſie Nerven von Stahl, Sehnen von
Kupfer, ja als ſey ſie unſterblich und unveraͤn¬

17 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0273" n="259"/>
Tiefe der Vernunft gegru&#x0364;ndet hat; wenn er noch¬<lb/>
mals zu die&#x017F;er Arbeit zuru&#x0364;ckgekehrt, Senkblei und<lb/>
Richtmaß anlegt, um zu unter&#x017F;uchen, ob alles in<lb/>
Ordnung i&#x017F;t, und mit einer Rie&#x017F;enhand zu pru&#x0364;fen<lb/>
&#x017F;cheint, ob alles auch &#x017F;icher zu&#x017F;ammenha&#x0364;lt; wenn<lb/>
er die Gedanken aller Zuho&#x0364;rer mit Argumenten<lb/>
fe&#x017F;tgebunden, wie mit Seilen, die keiner zu zer¬<lb/>
reißen im Stande i&#x017F;t &#x2014; dann &#x017F;pringt er gewaltig<lb/>
auf das Geba&#x0364;ude, das er &#x017F;ich gezimmert hat, es<lb/>
erhebt &#x017F;ich &#x017F;eine Ge&#x017F;talt und &#x017F;ein Ton, er be¬<lb/>
&#x017F;chwo&#x0364;rt die Leiden&#x017F;chaften aus ihren geheim&#x017F;ten<lb/>
Winkeln, und u&#x0364;berwa&#x0364;ltigt und er&#x017F;chu&#x0364;ttert die<lb/>
maulauf&#x017F;perrenden Parlamentsgeno&#x017F;&#x017F;en und das<lb/>
ganze, dro&#x0364;hnende Haus. Jene Stimme, die er&#x017F;t<lb/>
&#x017F;o lei&#x017F;e und an&#x017F;pruchslos war, gleicht jetzt dem<lb/>
beta&#x0364;ubenden Brau&#x017F;en und den unendlichen Wogen<lb/>
des Meeres; jene Ge&#x017F;talt, die vorher unter ihrem<lb/>
eigenen Gewichte zu &#x017F;inken &#x017F;chien, &#x017F;ieht jetzt aus,<lb/>
als ha&#x0364;tte &#x017F;ie Nerven von Stahl, Sehnen von<lb/>
Kupfer, ja als &#x017F;ey &#x017F;ie un&#x017F;terblich und unvera&#x0364;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">17 *<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[259/0273] Tiefe der Vernunft gegruͤndet hat; wenn er noch¬ mals zu dieſer Arbeit zuruͤckgekehrt, Senkblei und Richtmaß anlegt, um zu unterſuchen, ob alles in Ordnung iſt, und mit einer Rieſenhand zu pruͤfen ſcheint, ob alles auch ſicher zuſammenhaͤlt; wenn er die Gedanken aller Zuhoͤrer mit Argumenten feſtgebunden, wie mit Seilen, die keiner zu zer¬ reißen im Stande iſt — dann ſpringt er gewaltig auf das Gebaͤude, das er ſich gezimmert hat, es erhebt ſich ſeine Geſtalt und ſein Ton, er be¬ ſchwoͤrt die Leidenſchaften aus ihren geheimſten Winkeln, und uͤberwaͤltigt und erſchuͤttert die maulaufſperrenden Parlamentsgenoſſen und das ganze, droͤhnende Haus. Jene Stimme, die erſt ſo leiſe und anſpruchslos war, gleicht jetzt dem betaͤubenden Brauſen und den unendlichen Wogen des Meeres; jene Geſtalt, die vorher unter ihrem eigenen Gewichte zu ſinken ſchien, ſieht jetzt aus, als haͤtte ſie Nerven von Stahl, Sehnen von Kupfer, ja als ſey ſie unſterblich und unveraͤn¬ 17 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/273
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/273>, abgerufen am 30.11.2024.