Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

eine Geschichte aus dem Leben Karl V. Doch
ist es schon lange her, seit ich sie vernahm, und
ich weiß die besonderen Umstände nicht mehr ganz
genau. So was vergißt sich leicht, wenn man
kein bestimmtes Gehalt dafür bezieht, daß man
die alten Geschichten alle halbe Jahre vom Hefte
abliest. Was ist aber auch daran gelegen, wenn
man die Ortsnamen und Jahrzahlen der Geschich¬
ten vergessen hat; wenn man nur ihre innere
Bedeutung, ihre Moral, im Gedächtnisse behal¬
ten. Diese ist es eigentlich, die mir im Sinne
klingt und mich wemüthig bis zu Thränen stimmt.
Ich fürchte, ich werde krank.

Der arme Kaiser war von seinen Feinden ge¬
fangen genommen, und saß in schwerer Haft.
Ich glaube es war in Tyrol. Da saß er, in ein¬
samer Betrübniß, verlassen von allen seinen Rit¬
tern und Höflingen, und keiner kam ihm zu
Hülfe. Ich weiß nicht, ob er schon damals jenes

eine Geſchichte aus dem Leben Karl V. Doch
iſt es ſchon lange her, ſeit ich ſie vernahm, und
ich weiß die beſonderen Umſtaͤnde nicht mehr ganz
genau. So was vergißt ſich leicht, wenn man
kein beſtimmtes Gehalt dafuͤr bezieht, daß man
die alten Geſchichten alle halbe Jahre vom Hefte
ablieſt. Was iſt aber auch daran gelegen, wenn
man die Ortsnamen und Jahrzahlen der Geſchich¬
ten vergeſſen hat; wenn man nur ihre innere
Bedeutung, ihre Moral, im Gedaͤchtniſſe behal¬
ten. Dieſe iſt es eigentlich, die mir im Sinne
klingt und mich wemuͤthig bis zu Thraͤnen ſtimmt.
Ich fuͤrchte, ich werde krank.

Der arme Kaiſer war von ſeinen Feinden ge¬
fangen genommen, und ſaß in ſchwerer Haft.
Ich glaube es war in Tyrol. Da ſaß er, in ein¬
ſamer Betruͤbniß, verlaſſen von allen ſeinen Rit¬
tern und Hoͤflingen, und keiner kam ihm zu
Huͤlfe. Ich weiß nicht, ob er ſchon damals jenes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0335" n="321"/>
eine Ge&#x017F;chichte aus dem Leben Karl <hi rendition="#aq">V</hi>. Doch<lb/>
i&#x017F;t es &#x017F;chon lange her, &#x017F;eit ich &#x017F;ie vernahm, und<lb/>
ich weiß die be&#x017F;onderen Um&#x017F;ta&#x0364;nde nicht mehr ganz<lb/>
genau. So was vergißt &#x017F;ich leicht, wenn man<lb/>
kein be&#x017F;timmtes Gehalt dafu&#x0364;r bezieht, daß man<lb/>
die alten Ge&#x017F;chichten alle halbe Jahre vom Hefte<lb/>
ablie&#x017F;t. Was i&#x017F;t aber auch daran gelegen, wenn<lb/>
man die Ortsnamen und Jahrzahlen der Ge&#x017F;chich¬<lb/>
ten verge&#x017F;&#x017F;en hat; wenn man nur ihre innere<lb/>
Bedeutung, ihre Moral, im Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e behal¬<lb/>
ten. Die&#x017F;e i&#x017F;t es eigentlich, die mir im Sinne<lb/>
klingt und mich wemu&#x0364;thig bis zu Thra&#x0364;nen &#x017F;timmt.<lb/>
Ich fu&#x0364;rchte, ich werde krank.</p><lb/>
        <p>Der arme Kai&#x017F;er war von &#x017F;einen Feinden ge¬<lb/>
fangen genommen, und &#x017F;aß in &#x017F;chwerer Haft.<lb/>
Ich glaube es war in Tyrol. Da &#x017F;aß er, in ein¬<lb/>
&#x017F;amer Betru&#x0364;bniß, verla&#x017F;&#x017F;en von allen &#x017F;einen Rit¬<lb/>
tern und Ho&#x0364;flingen, und keiner kam ihm zu<lb/>
Hu&#x0364;lfe. Ich weiß nicht, ob er &#x017F;chon damals jenes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[321/0335] eine Geſchichte aus dem Leben Karl V. Doch iſt es ſchon lange her, ſeit ich ſie vernahm, und ich weiß die beſonderen Umſtaͤnde nicht mehr ganz genau. So was vergißt ſich leicht, wenn man kein beſtimmtes Gehalt dafuͤr bezieht, daß man die alten Geſchichten alle halbe Jahre vom Hefte ablieſt. Was iſt aber auch daran gelegen, wenn man die Ortsnamen und Jahrzahlen der Geſchich¬ ten vergeſſen hat; wenn man nur ihre innere Bedeutung, ihre Moral, im Gedaͤchtniſſe behal¬ ten. Dieſe iſt es eigentlich, die mir im Sinne klingt und mich wemuͤthig bis zu Thraͤnen ſtimmt. Ich fuͤrchte, ich werde krank. Der arme Kaiſer war von ſeinen Feinden ge¬ fangen genommen, und ſaß in ſchwerer Haft. Ich glaube es war in Tyrol. Da ſaß er, in ein¬ ſamer Betruͤbniß, verlaſſen von allen ſeinen Rit¬ tern und Hoͤflingen, und keiner kam ihm zu Huͤlfe. Ich weiß nicht, ob er ſchon damals jenes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/335
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/335>, abgerufen am 23.11.2024.