Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Seele durchschauerte, ganz verscheuchen. Es hielt
mich vielleicht um so gewaltiger befangen, da die
Sonne, so warm und hell, die unheimlichen Ge¬
bäude beleuchtete; und ich merkte wohl, Gespenster
sind noch furchtbarer, wenn sie den schwarzen
Mantel der Nacht abwerfen, und sich im hellen
Mittagslichte sehen lassen.

Als ich jetzt, acht Tage später, wieder nach
Lukka kam, wie erstaunte ich über den veränderten
Anblick dieser Stadt! Was ist das? rief ich, als
die Lichter mein Auge blendeten und die Men¬
schenströme durch die Gassen sich wälzten. Ist
ein ganzes Volk als nächtliches Gespenst aus dem
Grabe gestiegen, um im tollsten Mummenschanz
das Leben nachzuäffen? Die hohen, trüben Häuser
sind mit Lampen verziert, überall aus den Fen¬
stern hängen bunte Teppiche, die morschgrauen
Wände fast bedeckend, und darüber lehnen sich
holde Mädchengesichter, so frisch, so blühend, daß
ich wohl merke, es ist das Leben selbst, das sein

Seele durchſchauerte, ganz verſcheuchen. Es hielt
mich vielleicht um ſo gewaltiger befangen, da die
Sonne, ſo warm und hell, die unheimlichen Ge¬
baͤude beleuchtete; und ich merkte wohl, Geſpenſter
ſind noch furchtbarer, wenn ſie den ſchwarzen
Mantel der Nacht abwerfen, und ſich im hellen
Mittagslichte ſehen laſſen.

Als ich jetzt, acht Tage ſpaͤter, wieder nach
Lukka kam, wie erſtaunte ich uͤber den veraͤnderten
Anblick dieſer Stadt! Was iſt das? rief ich, als
die Lichter mein Auge blendeten und die Men¬
ſchenſtroͤme durch die Gaſſen ſich waͤlzten. Iſt
ein ganzes Volk als naͤchtliches Geſpenſt aus dem
Grabe geſtiegen, um im tollſten Mummenſchanz
das Leben nachzuaͤffen? Die hohen, truͤben Haͤuſer
ſind mit Lampen verziert, uͤberall aus den Fen¬
ſtern haͤngen bunte Teppiche, die morſchgrauen
Waͤnde faſt bedeckend, und daruͤber lehnen ſich
holde Maͤdchengeſichter, ſo friſch, ſo bluͤhend, daß
ich wohl merke, es iſt das Leben ſelbſt, das ſein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0046" n="32"/>
Seele durch&#x017F;chauerte, ganz ver&#x017F;cheuchen. Es hielt<lb/>
mich vielleicht um &#x017F;o gewaltiger befangen, da die<lb/>
Sonne, &#x017F;o warm und hell, die unheimlichen Ge¬<lb/>
ba&#x0364;ude beleuchtete; und ich merkte wohl, Ge&#x017F;pen&#x017F;ter<lb/>
&#x017F;ind noch furchtbarer, wenn &#x017F;ie den &#x017F;chwarzen<lb/>
Mantel der Nacht abwerfen, und &#x017F;ich im hellen<lb/>
Mittagslichte &#x017F;ehen la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Als ich jetzt, acht Tage &#x017F;pa&#x0364;ter, wieder nach<lb/>
Lukka kam, wie er&#x017F;taunte ich u&#x0364;ber den vera&#x0364;nderten<lb/>
Anblick die&#x017F;er Stadt! Was i&#x017F;t das? rief ich, als<lb/>
die Lichter mein Auge blendeten und die Men¬<lb/>
&#x017F;chen&#x017F;tro&#x0364;me durch die Ga&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich wa&#x0364;lzten. I&#x017F;t<lb/>
ein ganzes Volk als na&#x0364;chtliches Ge&#x017F;pen&#x017F;t aus dem<lb/>
Grabe ge&#x017F;tiegen, um im toll&#x017F;ten Mummen&#x017F;chanz<lb/>
das Leben nachzua&#x0364;ffen? Die hohen, tru&#x0364;ben Ha&#x0364;u&#x017F;er<lb/>
&#x017F;ind mit Lampen verziert, u&#x0364;berall aus den Fen¬<lb/>
&#x017F;tern ha&#x0364;ngen bunte Teppiche, die mor&#x017F;chgrauen<lb/>
Wa&#x0364;nde fa&#x017F;t bedeckend, und daru&#x0364;ber lehnen &#x017F;ich<lb/>
holde Ma&#x0364;dchenge&#x017F;ichter, &#x017F;o fri&#x017F;ch, &#x017F;o blu&#x0364;hend, daß<lb/>
ich wohl merke, es i&#x017F;t das Leben &#x017F;elb&#x017F;t, das &#x017F;ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0046] Seele durchſchauerte, ganz verſcheuchen. Es hielt mich vielleicht um ſo gewaltiger befangen, da die Sonne, ſo warm und hell, die unheimlichen Ge¬ baͤude beleuchtete; und ich merkte wohl, Geſpenſter ſind noch furchtbarer, wenn ſie den ſchwarzen Mantel der Nacht abwerfen, und ſich im hellen Mittagslichte ſehen laſſen. Als ich jetzt, acht Tage ſpaͤter, wieder nach Lukka kam, wie erſtaunte ich uͤber den veraͤnderten Anblick dieſer Stadt! Was iſt das? rief ich, als die Lichter mein Auge blendeten und die Men¬ ſchenſtroͤme durch die Gaſſen ſich waͤlzten. Iſt ein ganzes Volk als naͤchtliches Geſpenſt aus dem Grabe geſtiegen, um im tollſten Mummenſchanz das Leben nachzuaͤffen? Die hohen, truͤben Haͤuſer ſind mit Lampen verziert, uͤberall aus den Fen¬ ſtern haͤngen bunte Teppiche, die morſchgrauen Waͤnde faſt bedeckend, und daruͤber lehnen ſich holde Maͤdchengeſichter, ſo friſch, ſo bluͤhend, daß ich wohl merke, es iſt das Leben ſelbſt, das ſein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/46
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/46>, abgerufen am 21.11.2024.