Ach! man sollte eigentlich gegen niemanden in dieser Welt schreiben. Jeder ist selbst krank genug in diesem großen Lazareth, und manche polemische Lektüre erinnert mich unwillkürlich an ein widerwärtiges Gezänk, in einem kleineren La¬ zareth zu Krakau, wobey ich mich als zufälliger Zuschauer befand, und wo entsetzlich anzuhören war, wie die Kranken sich einander ihre Gebrechen spottend vorrechneten, wie ausgedörrte Schwind¬ süchtige den aufgeschwollenen Wassersüchtling ver¬ höhnten, wie der Eine lachte über den Nasenkrebs des Andern, und dieser wieder über Maulsperre und Augenverdrehung seiner Nachbaren, bis am Ende die Fiebertollen nackt aus den Betten spran¬ gen, und den andern Kranken die Decken und Laken von den wunden Leibern rissen, und nichts als scheußliches Elend und Verstümmlung zu sehen war.
Ach! man ſollte eigentlich gegen niemanden in dieſer Welt ſchreiben. Jeder iſt ſelbſt krank genug in dieſem großen Lazareth, und manche polemiſche Lektuͤre erinnert mich unwillkuͤrlich an ein widerwaͤrtiges Gezaͤnk, in einem kleineren La¬ zareth zu Krakau, wobey ich mich als zufaͤlliger Zuſchauer befand, und wo entſetzlich anzuhoͤren war, wie die Kranken ſich einander ihre Gebrechen ſpottend vorrechneten, wie ausgedoͤrrte Schwind¬ ſuͤchtige den aufgeſchwollenen Waſſerſuͤchtling ver¬ hoͤhnten, wie der Eine lachte uͤber den Naſenkrebs des Andern, und dieſer wieder uͤber Maulſperre und Augenverdrehung ſeiner Nachbaren, bis am Ende die Fiebertollen nackt aus den Betten ſpran¬ gen, und den andern Kranken die Decken und Laken von den wunden Leibern riſſen, und nichts als ſcheußliches Elend und Verſtuͤmmlung zu ſehen war.
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Ach! man ſollte eigentlich gegen niemanden
in dieſer Welt ſchreiben. Jeder iſt ſelbſt krank
genug in dieſem großen Lazareth, und manche
polemiſche Lektuͤre erinnert mich unwillkuͤrlich an
ein widerwaͤrtiges Gezaͤnk, in einem kleineren La¬
zareth zu Krakau, wobey ich mich als zufaͤlliger
Zuſchauer befand, und wo entſetzlich anzuhoͤren
war, wie die Kranken ſich einander ihre Gebrechen
ſpottend vorrechneten, wie ausgedoͤrrte Schwind¬
ſuͤchtige den aufgeſchwollenen Waſſerſuͤchtling ver¬
hoͤhnten, wie der Eine lachte uͤber den Naſenkrebs
des Andern, und dieſer wieder uͤber Maulſperre
und Augenverdrehung ſeiner Nachbaren, bis am
Ende die Fiebertollen nackt aus den Betten ſpran¬
gen, und den andern Kranken die Decken und
Laken von den wunden Leibern riſſen, und nichts
als ſcheußliches Elend und Verſtuͤmmlung zu ſehen
war.
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/55>, abgerufen am 21.11.2024.
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