Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Pazienten sogar zur Prozession, und trägt ihnen
die Kerze. Es war gewiß der Tod selbst, den ich
an der Seite eines blassen, bekümmerten Priesters
gehen sah; in dünnen zitternden Knochenhänden
trug er diesem die flimmernde Kerze, nickte dabey
gar gutmüthig besänftigend mit dem ängstlich kah¬
len Köpfchen, und so schwach er selbst auf den
Beinen war, so unterstützte er doch noch zuweilen
den armen Priester, der bey jedem Schritte noch
bleicher wurde und umsinken wollte. Er schien
ihm Muth einzusprechen: warte nur noch einige
Stündchen, dann sind wir zu Hause, und ich
lösche die Kerze aus, und ich lege dich aufs
Bett, und die kalten, müden Beine können aus¬
ruhen, und du sollst so fest schlafen, daß du das
wimmernde Sankt Michaelsglöckchen nicht hören
wirst.

"Gegen den Mann will ich auch nicht schrei¬
ben" dacht ich, als ich den armen, bleichen Prie¬
ster sah, dem der leibhaftige Tod zu Bette leuchtete.

Pazienten ſogar zur Prozeſſion, und traͤgt ihnen
die Kerze. Es war gewiß der Tod ſelbſt, den ich
an der Seite eines blaſſen, bekuͤmmerten Prieſters
gehen ſah; in duͤnnen zitternden Knochenhaͤnden
trug er dieſem die flimmernde Kerze, nickte dabey
gar gutmuͤthig beſaͤnftigend mit dem aͤngſtlich kah¬
len Koͤpfchen, und ſo ſchwach er ſelbſt auf den
Beinen war, ſo unterſtuͤtzte er doch noch zuweilen
den armen Prieſter, der bey jedem Schritte noch
bleicher wurde und umſinken wollte. Er ſchien
ihm Muth einzuſprechen: warte nur noch einige
Stuͤndchen, dann ſind wir zu Hauſe, und ich
loͤſche die Kerze aus, und ich lege dich aufs
Bett, und die kalten, muͤden Beine koͤnnen aus¬
ruhen, und du ſollſt ſo feſt ſchlafen, daß du das
wimmernde Sankt Michaelsgloͤckchen nicht hoͤren
wirſt.

„Gegen den Mann will ich auch nicht ſchrei¬
ben“ dacht ich, als ich den armen, bleichen Prie¬
ſter ſah, dem der leibhaftige Tod zu Bette leuchtete.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0054" n="40"/>
Pazienten &#x017F;ogar zur Proze&#x017F;&#x017F;ion, und tra&#x0364;gt ihnen<lb/>
die Kerze. Es war gewiß der Tod &#x017F;elb&#x017F;t, den ich<lb/>
an der Seite eines bla&#x017F;&#x017F;en, beku&#x0364;mmerten Prie&#x017F;ters<lb/>
gehen &#x017F;ah; in du&#x0364;nnen zitternden Knochenha&#x0364;nden<lb/>
trug er die&#x017F;em die flimmernde Kerze, nickte dabey<lb/>
gar gutmu&#x0364;thig be&#x017F;a&#x0364;nftigend mit dem a&#x0364;ng&#x017F;tlich kah¬<lb/>
len Ko&#x0364;pfchen, und &#x017F;o &#x017F;chwach er &#x017F;elb&#x017F;t auf den<lb/>
Beinen war, &#x017F;o unter&#x017F;tu&#x0364;tzte er doch noch zuweilen<lb/>
den armen Prie&#x017F;ter, der bey jedem Schritte noch<lb/>
bleicher wurde und um&#x017F;inken wollte. Er &#x017F;chien<lb/>
ihm Muth einzu&#x017F;prechen: warte nur noch einige<lb/>
Stu&#x0364;ndchen, dann &#x017F;ind wir zu Hau&#x017F;e, und ich<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;che die Kerze aus, und ich lege dich aufs<lb/>
Bett, und die kalten, mu&#x0364;den Beine ko&#x0364;nnen aus¬<lb/>
ruhen, und du &#x017F;oll&#x017F;t &#x017F;o fe&#x017F;t &#x017F;chlafen, daß du das<lb/>
wimmernde Sankt Michaelsglo&#x0364;ckchen nicht ho&#x0364;ren<lb/>
wir&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Gegen <hi rendition="#g">den</hi> Mann will ich auch nicht &#x017F;chrei¬<lb/>
ben&#x201C; dacht ich, als ich den armen, bleichen Prie¬<lb/>
&#x017F;ter &#x017F;ah, dem der leibhaftige Tod zu Bette leuchtete.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0054] Pazienten ſogar zur Prozeſſion, und traͤgt ihnen die Kerze. Es war gewiß der Tod ſelbſt, den ich an der Seite eines blaſſen, bekuͤmmerten Prieſters gehen ſah; in duͤnnen zitternden Knochenhaͤnden trug er dieſem die flimmernde Kerze, nickte dabey gar gutmuͤthig beſaͤnftigend mit dem aͤngſtlich kah¬ len Koͤpfchen, und ſo ſchwach er ſelbſt auf den Beinen war, ſo unterſtuͤtzte er doch noch zuweilen den armen Prieſter, der bey jedem Schritte noch bleicher wurde und umſinken wollte. Er ſchien ihm Muth einzuſprechen: warte nur noch einige Stuͤndchen, dann ſind wir zu Hauſe, und ich loͤſche die Kerze aus, und ich lege dich aufs Bett, und die kalten, muͤden Beine koͤnnen aus¬ ruhen, und du ſollſt ſo feſt ſchlafen, daß du das wimmernde Sankt Michaelsgloͤckchen nicht hoͤren wirſt. „Gegen den Mann will ich auch nicht ſchrei¬ ben“ dacht ich, als ich den armen, bleichen Prie¬ ſter ſah, dem der leibhaftige Tod zu Bette leuchtete.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/54
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/54>, abgerufen am 21.11.2024.