mahnte mich wieder an den kranken Priester, den ich bey der Prozession gesehen, und ich sprach zu mir selber: der ist jetzt auch gestorben, und kommt hierher um die erste Nachtmesse zu lesen und da beginnt erst recht der traurige Spuk. Plötzlich aber erhob sich, von den Stufen des Altars, die holde Gestalt der verschleyerten Beterinn --
Ja, sie war es, schon ihr lebendiger Schatten verscheuchte die weißen Gespenster, ich sah jetzt nur sie, ich folgte ihr rasch zur Kirche hinaus, und als sie vor der Thüre den Schleyer zurück¬ schlug, sah ich in Franscheskas bethräntes Antlitz. Es glich einer sehnsüchtig weißen Rose, angeperlt vom Thau der Nacht und beglänzt vom Strahl des Mondes. Franscheska liebst du mich? Ich frug viel und sie antwortete wenig. Ich begleitete sie nach dem Hotel Crotsche di Malta, wo sie und Mathilde logirten. Die Straßen waren leer geworden, die Häuser schliefen mit geschlossenen Fensteraugen, nur hie und da, durch die hölzernen
mahnte mich wieder an den kranken Prieſter, den ich bey der Prozeſſion geſehen, und ich ſprach zu mir ſelber: der iſt jetzt auch geſtorben, und kommt hierher um die erſte Nachtmeſſe zu leſen und da beginnt erſt recht der traurige Spuk. Ploͤtzlich aber erhob ſich, von den Stufen des Altars, die holde Geſtalt der verſchleyerten Beterinn —
Ja, ſie war es, ſchon ihr lebendiger Schatten verſcheuchte die weißen Geſpenſter, ich ſah jetzt nur ſie, ich folgte ihr raſch zur Kirche hinaus, und als ſie vor der Thuͤre den Schleyer zuruͤck¬ ſchlug, ſah ich in Franſcheskas bethraͤntes Antlitz. Es glich einer ſehnſuͤchtig weißen Roſe, angeperlt vom Thau der Nacht und beglaͤnzt vom Strahl des Mondes. Franſcheska liebſt du mich? Ich frug viel und ſie antwortete wenig. Ich begleitete ſie nach dem Hotel Crotſche di Malta, wo ſie und Mathilde logirten. Die Straßen waren leer geworden, die Haͤuſer ſchliefen mit geſchloſſenen Fenſteraugen, nur hie und da, durch die hoͤlzernen
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mahnte mich wieder an den kranken Prieſter, den
ich bey der Prozeſſion geſehen, und ich ſprach zu
mir ſelber: der iſt jetzt auch geſtorben, und kommt
hierher um die erſte Nachtmeſſe zu leſen und da
beginnt erſt recht der traurige Spuk. Ploͤtzlich
aber erhob ſich, von den Stufen des Altars, die
holde Geſtalt der verſchleyerten Beterinn —
Ja, ſie war es, ſchon ihr lebendiger Schatten
verſcheuchte die weißen Geſpenſter, ich ſah jetzt
nur ſie, ich folgte ihr raſch zur Kirche hinaus,
und als ſie vor der Thuͤre den Schleyer zuruͤck¬
ſchlug, ſah ich in Franſcheskas bethraͤntes Antlitz.
Es glich einer ſehnſuͤchtig weißen Roſe, angeperlt
vom Thau der Nacht und beglaͤnzt vom Strahl
des Mondes. Franſcheska liebſt du mich? Ich
frug viel und ſie antwortete wenig. Ich begleitete
ſie nach dem Hotel Crotſche di Malta, wo ſie
und Mathilde logirten. Die Straßen waren leer
geworden, die Haͤuſer ſchliefen mit geſchloſſenen
Fenſteraugen, nur hie und da, durch die hoͤlzernen
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/61>, abgerufen am 21.11.2024.
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