altflorentinischen Gemälden anspricht, es ist das eigentlich Heroische, das wir auch in den marmor¬ nen Götterbildern der Alten erkennen, und das nicht, wie unsre Aesthetiker meinen, in einer ewi¬ gen Ruhe ohne Leidenschaft, sondern in einer ewi¬ gen Leidenschaft ohne Unruhe besteht. Auch durch einige spätere Oehlbilder, die im Dome von Lukka hängen, zieht sich, vielleicht als tradizioneller Nach¬ hall, jener altflorentinische Sinn. Besonders fiel mir auf eine Hochzeit zu Canan, von einem Schüler des Andrea del Sarto, etwas hart ge¬ malt und schroff gestaltet. Der Heiland sitzt zwi¬ schen der weichen schönen Braut und einem Pha¬ risäer, dessen steinernes Gesetztafelgesicht sich wun¬ dert über den genialen Propheten, der sich heiter mischt in die Reihen der Heiteren, und die Ge¬ sellschaft mit Wundern regalirt, die noch größer sind als die Wunder des Moses; denn dieser konnte, wenn er noch so stark gegen den Felsen schlug, nur Wasser hervorbringen, jener aber
altflorentiniſchen Gemaͤlden anſpricht, es iſt das eigentlich Heroiſche, das wir auch in den marmor¬ nen Goͤtterbildern der Alten erkennen, und das nicht, wie unſre Aeſthetiker meinen, in einer ewi¬ gen Ruhe ohne Leidenſchaft, ſondern in einer ewi¬ gen Leidenſchaft ohne Unruhe beſteht. Auch durch einige ſpaͤtere Oehlbilder, die im Dome von Lukka haͤngen, zieht ſich, vielleicht als tradizioneller Nach¬ hall, jener altflorentiniſche Sinn. Beſonders fiel mir auf eine Hochzeit zu Canan, von einem Schuͤler des Andrea del Sarto, etwas hart ge¬ malt und ſchroff geſtaltet. Der Heiland ſitzt zwi¬ ſchen der weichen ſchoͤnen Braut und einem Pha¬ riſaͤer, deſſen ſteinernes Geſetztafelgeſicht ſich wun¬ dert uͤber den genialen Propheten, der ſich heiter miſcht in die Reihen der Heiteren, und die Ge¬ ſellſchaft mit Wundern regalirt, die noch groͤßer ſind als die Wunder des Moſes; denn dieſer konnte, wenn er noch ſo ſtark gegen den Felſen ſchlug, nur Waſſer hervorbringen, jener aber
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altflorentiniſchen Gemaͤlden anſpricht, es iſt das
eigentlich Heroiſche, das wir auch in den marmor¬
nen Goͤtterbildern der Alten erkennen, und das
nicht, wie unſre Aeſthetiker meinen, in einer ewi¬
gen Ruhe ohne Leidenſchaft, ſondern in einer ewi¬
gen Leidenſchaft ohne Unruhe beſteht. Auch durch
einige ſpaͤtere Oehlbilder, die im Dome von Lukka
haͤngen, zieht ſich, vielleicht als tradizioneller Nach¬
hall, jener altflorentiniſche Sinn. Beſonders fiel
mir auf eine Hochzeit zu Canan, von einem
Schuͤler des Andrea del Sarto, etwas hart ge¬
malt und ſchroff geſtaltet. Der Heiland ſitzt zwi¬
ſchen der weichen ſchoͤnen Braut und einem Pha¬
riſaͤer, deſſen ſteinernes Geſetztafelgeſicht ſich wun¬
dert uͤber den genialen Propheten, der ſich heiter
miſcht in die Reihen der Heiteren, und die Ge¬
ſellſchaft mit Wundern regalirt, die noch groͤßer
ſind als die Wunder des Moſes; denn dieſer
konnte, wenn er noch ſo ſtark gegen den Felſen
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/71>, abgerufen am 21.11.2024.
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