brauchte nur ein Wort zu sprechen, und die Krüge füllten sich mit dem besten Wein. Viel weicher, fast venezianisch kolorirt, ist das Gemälde von ei¬ nem Unbekannten, das daneben hängt, und worinn der freundlichste Farbenschmelz von einem durchbe¬ benden Schmerze gar seltsam gedämpft wird. Es stellt dar wie Maria ein Pfund Salbe nahm, von ungefälschter köstlicher Narde, und damit die Füße Jesu salbte, und sie mit ihren Haaren trocknete. Christus sitzt da, im Kreise seiner Jünger, ein schöner, geistreicher Gott, menschlich wehmüthig fühlt er eine schaurige Pietät gegen seinen eignen Leib, der bald so viel dulden wird, und dem die salbende Ehre, die man den Gestorbenen erweißt, schon jetzt gebührt und schon jetzt wiederfährt; er lächelt gerührt hinab auf das kniende Weib, das getrieben von ahnender Liebesangst, jene barmher¬ zige That verrichtet, eine That, die nie vergessen wird, so lange es leidende Menschen giebt, und die zur Erquickung aller leidenden Menschen durch
brauchte nur ein Wort zu ſprechen, und die Kruͤge fuͤllten ſich mit dem beſten Wein. Viel weicher, faſt venezianiſch kolorirt, iſt das Gemaͤlde von ei¬ nem Unbekannten, das daneben haͤngt, und worinn der freundlichſte Farbenſchmelz von einem durchbe¬ benden Schmerze gar ſeltſam gedaͤmpft wird. Es ſtellt dar wie Maria ein Pfund Salbe nahm, von ungefaͤlſchter koͤſtlicher Narde, und damit die Fuͤße Jeſu ſalbte, und ſie mit ihren Haaren trocknete. Chriſtus ſitzt da, im Kreiſe ſeiner Juͤnger, ein ſchoͤner, geiſtreicher Gott, menſchlich wehmuͤthig fuͤhlt er eine ſchaurige Pietaͤt gegen ſeinen eignen Leib, der bald ſo viel dulden wird, und dem die ſalbende Ehre, die man den Geſtorbenen erweißt, ſchon jetzt gebuͤhrt und ſchon jetzt wiederfaͤhrt; er laͤchelt geruͤhrt hinab auf das kniende Weib, das getrieben von ahnender Liebesangſt, jene barmher¬ zige That verrichtet, eine That, die nie vergeſſen wird, ſo lange es leidende Menſchen giebt, und die zur Erquickung aller leidenden Menſchen durch
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brauchte nur ein Wort zu ſprechen, und die Kruͤge
fuͤllten ſich mit dem beſten Wein. Viel weicher,
faſt venezianiſch kolorirt, iſt das Gemaͤlde von ei¬
nem Unbekannten, das daneben haͤngt, und worinn
der freundlichſte Farbenſchmelz von einem durchbe¬
benden Schmerze gar ſeltſam gedaͤmpft wird. Es
ſtellt dar wie Maria ein Pfund Salbe nahm, von
ungefaͤlſchter koͤſtlicher Narde, und damit die Fuͤße
Jeſu ſalbte, und ſie mit ihren Haaren trocknete.
Chriſtus ſitzt da, im Kreiſe ſeiner Juͤnger, ein
ſchoͤner, geiſtreicher Gott, menſchlich wehmuͤthig
fuͤhlt er eine ſchaurige Pietaͤt gegen ſeinen eignen
Leib, der bald ſo viel dulden wird, und dem die
ſalbende Ehre, die man den Geſtorbenen erweißt,
ſchon jetzt gebuͤhrt und ſchon jetzt wiederfaͤhrt; er
laͤchelt geruͤhrt hinab auf das kniende Weib, das
getrieben von ahnender Liebesangſt, jene barmher¬
zige That verrichtet, eine That, die nie vergeſſen
wird, ſo lange es leidende Menſchen giebt, und
die zur Erquickung aller leidenden Menſchen durch
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/72>, abgerufen am 16.02.2025.
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