Heine, Heinrich: [Rezension:] Die deutsche Literatur von Wolfgang Menzel. 2 Theile. Stuttgart, bei Gebrüder Frankh. 1828. In: Neue allgemeine politische Annalen, Band 27, Heft 3 (1828), S. 284–298.testantismus im weltlichen Sinn, wie der Protestantismus Unter der Rubrik "Philosophie" bekennt sich Herr Men- teſtantismus im weltlichen Sinn, wie der Proteſtantismus Unter der Rubrik „Philoſophie“ bekennt ſich Herr Men- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0010" n="292"/> teſtantismus im weltlichen Sinn, wie der Proteſtantismus<lb/> ein geiſtlicher <choice><sic>Protestantismus</sic><corr>Liberalismus</corr></choice><note type="editorial">Ersetzung "Protestantismus" durch "Liberalismus" übernommen aus der Textquelle; vgl. <ref target="https://www.uni-due.de/lyriktheorie/texte/1828_heine.html">https://www.uni-due.de/lyriktheorie/texte/1828_heine.html</ref>. Tatsächlich zitiert Heine hier fehlerhaft, vgl. die entsprechende Passage in: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <<ref target="http://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/233">http://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/233</ref>>, abgerufen am 20.10.2017.<lb/></note> war. Er hat ſeine Partei in<lb/> dem gebildeten Mittelſtande, während der Servilismus die<lb/> ſeinige in den Vornehmen und in der rohen Maſſe findet.<lb/> Dieſer Mittelſtand ſchmilzt allmählig immer mehr die ſtarren<lb/> Kryſtalliſationen der mittelalterlichen Stände zuſammen. Die<lb/> ganze neuere Bildung iſt aus dem Liberalismus hervorgegan-<lb/> gen, oder hat ihm gedient, ſie war die Befreiung von dem<lb/> kirchlichen Autoritätsglauben. Die ganze Literatur iſt ein<lb/> Triumph des Liberalismus, denn ſeine Feinde ſogar müſſen<lb/> in ſeinen Waffen fechten. Alle Gelehrte, alle Dichter haben<lb/> ihm Vorſchub geleiſtet, ſeinen größten Philoſophen aber hat<lb/> er in Fichte, ſeinen größten Dichter in Schiller gefunden.“</p><lb/> <p>Unter der Rubrik „Philoſophie“ bekennt ſich Herr Men-<lb/> zel ganz zu Schelling, und unter der Rubrik „Natur“ hat er<lb/> deſſen Lehre, wie ſich gebührt, gefeiert. Wir ſtimmen überein<lb/> in dem, was er über dieſen allgemeinen Weltdenker ausſpricht.<lb/> Görres und Steffens finden als Schellingſche Unterdenker<lb/> ebenfalls ihre Anerkennung. Erſterer iſt mit Vorliebe gewür-<lb/> digt, ſeine Myſtik etwas allzu poetiſch gerühmt. Doch ſehen<lb/> wir dieſen hohen Geiſt immer lieber überſchäzt als parteiisch<lb/> verkleinert. Steffens wird als Repräſentant des Pietismus<lb/> dargeſtellt, und die Anſichten, die der Vfr. von Myſtik und<lb/> Pietismus hegt, ſind, wenn auch irrig, doch immer tief-<lb/> ſinnig, ſchöpferiſch und großartig. Wir erwarten nicht viel<lb/> Gutes vom Pietismus, obgleich Herr Menzel ſich abmüht,<lb/> das Beſte von ihm zu prophezeien. Wir theilen die Mei-<lb/> nung eines witzigen Mannes, der keck behauptet: unter hun-<lb/> dert Pietiſten sind neun und neunzig Schurken und ein Eſel.<lb/> Von frömmelnden Heuchlern iſt kein Heil zu erwarten und<lb/> durch Eſelsmilch wird unſere ſchwache Zeit auch nicht ſehr er-<lb/> ſtarken. Weit eher dürfen wir Heil vom Myſtizismus erwar-<lb/> ten. Jn ſeiner jetzigen Erſcheinung mag er immerhin wider-<lb/> wärtig und gefährlich ſeyn; in ſeinen Reſultaten kann er heil-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [292/0010]
teſtantismus im weltlichen Sinn, wie der Proteſtantismus
ein geiſtlicher Liberalismus war. Er hat ſeine Partei in
dem gebildeten Mittelſtande, während der Servilismus die
ſeinige in den Vornehmen und in der rohen Maſſe findet.
Dieſer Mittelſtand ſchmilzt allmählig immer mehr die ſtarren
Kryſtalliſationen der mittelalterlichen Stände zuſammen. Die
ganze neuere Bildung iſt aus dem Liberalismus hervorgegan-
gen, oder hat ihm gedient, ſie war die Befreiung von dem
kirchlichen Autoritätsglauben. Die ganze Literatur iſt ein
Triumph des Liberalismus, denn ſeine Feinde ſogar müſſen
in ſeinen Waffen fechten. Alle Gelehrte, alle Dichter haben
ihm Vorſchub geleiſtet, ſeinen größten Philoſophen aber hat
er in Fichte, ſeinen größten Dichter in Schiller gefunden.“
Unter der Rubrik „Philoſophie“ bekennt ſich Herr Men-
zel ganz zu Schelling, und unter der Rubrik „Natur“ hat er
deſſen Lehre, wie ſich gebührt, gefeiert. Wir ſtimmen überein
in dem, was er über dieſen allgemeinen Weltdenker ausſpricht.
Görres und Steffens finden als Schellingſche Unterdenker
ebenfalls ihre Anerkennung. Erſterer iſt mit Vorliebe gewür-
digt, ſeine Myſtik etwas allzu poetiſch gerühmt. Doch ſehen
wir dieſen hohen Geiſt immer lieber überſchäzt als parteiisch
verkleinert. Steffens wird als Repräſentant des Pietismus
dargeſtellt, und die Anſichten, die der Vfr. von Myſtik und
Pietismus hegt, ſind, wenn auch irrig, doch immer tief-
ſinnig, ſchöpferiſch und großartig. Wir erwarten nicht viel
Gutes vom Pietismus, obgleich Herr Menzel ſich abmüht,
das Beſte von ihm zu prophezeien. Wir theilen die Mei-
nung eines witzigen Mannes, der keck behauptet: unter hun-
dert Pietiſten sind neun und neunzig Schurken und ein Eſel.
Von frömmelnden Heuchlern iſt kein Heil zu erwarten und
durch Eſelsmilch wird unſere ſchwache Zeit auch nicht ſehr er-
ſtarken. Weit eher dürfen wir Heil vom Myſtizismus erwar-
ten. Jn ſeiner jetzigen Erſcheinung mag er immerhin wider-
wärtig und gefährlich ſeyn; in ſeinen Reſultaten kann er heil-
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