Heine, Heinrich: [Rezension:] Die deutsche Literatur von Wolfgang Menzel. 2 Theile. Stuttgart, bei Gebrüder Frankh. 1828. In: Neue allgemeine politische Annalen, Band 27, Heft 3 (1828), S. 284–298.Die religiösen Privatmarotten, die Schlegels spätere Menzels "deutsche Literatur" ist ein würdiges Seiten- Die religiöſen Privatmarotten, die Schlegels ſpätere Menzels „deutſche Literatur“ iſt ein würdiges Seiten- <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0004" n="286"/> <p>Die religiöſen Privatmarotten, die Schlegels ſpätere<lb/> Schriften durchkreuzen, und für die er allein zu ſchreiben<lb/> wähnte, bilden doch nur das Zufällige, und namentlich in den<lb/> Vorleſungen über Literatur iſt, vielleicht mehr als er ſelbſt<lb/> weiſs, die Jdee der Kunſt noch immer der herrſchende Mittel-<lb/> punkt, der mit ſeinen goldenen Radien das ganze Buch um-<lb/> ſpinnt. Jſt doch die Jdee der Kunſt zugleich der Mittel-<lb/> punkt jener ganzen Literaturperiode, die mit dem Erſcheinen<lb/> Goethe's anfängt und erſt jetzt ihr Ende erreicht hat, iſt ſie<lb/> doch der eigentliche Mittelpunkt in Goethe ſelbst, dem groſsen<lb/> Repräſentanten dieser Periode – und wenn Friedrich Schle-<lb/> gel, in ſeiner Beurtheilung Goethes, demſelben allen Mittel-<lb/> punkt abſpricht, ſo hat dieſer Jrrthum vielleicht ſeine Wurzel<lb/> in einem verzeihlichen Unmuth. Wir ſagen „verzeihlich,“<lb/> um nicht das Wort „menſchlich“ zu gebrauchen: die Schlegel,<lb/> geleitet von der Jdee der Kunſt, erkannten die Objektivität<lb/> als das höchſte Erforderniſs eines Kunſtwerks, und da ſie dieſe<lb/> im höchſten Grade bei Goethe fanden, hoben ſie ihn auf den<lb/> Schild, die neue Schule huldigte ihm als König, und als er<lb/> König war, dankte er, wie Könige zu danken pflegen, indem<lb/> er die Schlegel kränkend ablehnte und ihre Schule in den<lb/> Staub trat.</p><lb/> <p>Menzels „deutſche Literatur“ iſt ein würdiges Seiten-<lb/> ſtück zu dem erwähnten Werke von Friedr. Schlegel. Dieſelbe<lb/> Groſsartigkeit der Auffaſſung, des Strebens, der Kraft und<lb/> des Jrrthums. Beide Werke werden den ſpäteren Literatoren<lb/> Stoff zum Nachdenken liefern, indem nicht blos die ſchönſten<lb/> Geiſtesſchätze darin niedergelegt ſind, ſondern indem auch ein<lb/> jedes dieſer beiden Werke ganz die Zeit charakteriſirt, worin<lb/> es geſchrieben iſt. Dieſer leztere Umſtand gewährt auch uns<lb/> das meiſte Vergnügen bei der Vergleichung beider Werke. Jn<lb/> dem Schlegelſchen ſehen wir ganz die Beſtrebungen, die Be-<lb/> dürfniſſe, die Jntereſſen, die geſammte deutſche Geiſtesrich-<lb/> tung der vorlezten Dezennien, und die Kunſtidee als Mittel-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [286/0004]
Die religiöſen Privatmarotten, die Schlegels ſpätere
Schriften durchkreuzen, und für die er allein zu ſchreiben
wähnte, bilden doch nur das Zufällige, und namentlich in den
Vorleſungen über Literatur iſt, vielleicht mehr als er ſelbſt
weiſs, die Jdee der Kunſt noch immer der herrſchende Mittel-
punkt, der mit ſeinen goldenen Radien das ganze Buch um-
ſpinnt. Jſt doch die Jdee der Kunſt zugleich der Mittel-
punkt jener ganzen Literaturperiode, die mit dem Erſcheinen
Goethe's anfängt und erſt jetzt ihr Ende erreicht hat, iſt ſie
doch der eigentliche Mittelpunkt in Goethe ſelbst, dem groſsen
Repräſentanten dieser Periode – und wenn Friedrich Schle-
gel, in ſeiner Beurtheilung Goethes, demſelben allen Mittel-
punkt abſpricht, ſo hat dieſer Jrrthum vielleicht ſeine Wurzel
in einem verzeihlichen Unmuth. Wir ſagen „verzeihlich,“
um nicht das Wort „menſchlich“ zu gebrauchen: die Schlegel,
geleitet von der Jdee der Kunſt, erkannten die Objektivität
als das höchſte Erforderniſs eines Kunſtwerks, und da ſie dieſe
im höchſten Grade bei Goethe fanden, hoben ſie ihn auf den
Schild, die neue Schule huldigte ihm als König, und als er
König war, dankte er, wie Könige zu danken pflegen, indem
er die Schlegel kränkend ablehnte und ihre Schule in den
Staub trat.
Menzels „deutſche Literatur“ iſt ein würdiges Seiten-
ſtück zu dem erwähnten Werke von Friedr. Schlegel. Dieſelbe
Groſsartigkeit der Auffaſſung, des Strebens, der Kraft und
des Jrrthums. Beide Werke werden den ſpäteren Literatoren
Stoff zum Nachdenken liefern, indem nicht blos die ſchönſten
Geiſtesſchätze darin niedergelegt ſind, ſondern indem auch ein
jedes dieſer beiden Werke ganz die Zeit charakteriſirt, worin
es geſchrieben iſt. Dieſer leztere Umſtand gewährt auch uns
das meiſte Vergnügen bei der Vergleichung beider Werke. Jn
dem Schlegelſchen ſehen wir ganz die Beſtrebungen, die Be-
dürfniſſe, die Jntereſſen, die geſammte deutſche Geiſtesrich-
tung der vorlezten Dezennien, und die Kunſtidee als Mittel-
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