Heine, Heinrich: [Rezension:] Die deutsche Literatur von Wolfgang Menzel. 2 Theile. Stuttgart, bei Gebrüder Frankh. 1828. In: Neue allgemeine politische Annalen, Band 27, Heft 3 (1828), S. 284–298.punkt des Ganzen. Bilden aber die Schlegelschen Vorlesun- Andererseits erkennen wir bei Menzel ein Streben nach punkt des Ganzen. Bilden aber die Schlegelſchen Vorleſun- Andererſeits erkennen wir bei Menzel ein Streben nach <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0005" n="287"/> punkt des Ganzen. Bilden aber die Schlegelſchen Vorleſun-<lb/> gen ſolchermaſsen ein Literaturepos, ſo erſcheint uns hingegen<lb/> das Menzelſche Werk wie ein bewegtes Drama, die Jntereſſen<lb/> der Zeit treten auf und halten ihre Monologe, die Leiden-<lb/> ſchaften, Wünſche, Hoffnungen, Furcht und Mitleid ſpre-<lb/> chen ſich aus, die Freunde rathen, die Feinde drängen, die<lb/> Parteien ſtehen ſich gegenüber, der Vfr. läſst allen ihr Recht<lb/> widerfahren, als ächter Dramatiker behandelt er keine der<lb/> kämpfenden Parteien mit allzu beſonderer Vorliebe, und<lb/> wenn wir etwas vermiſſen, ſo iſt es nur der Chorus, der die<lb/> letzte Bedeutung des Kampfes ruhig ausſpricht. Dieſen<lb/> Chorus aber konnte uns Herr Menzel nicht geben, wegen des<lb/> einfachen Umſtandes, daſs er noch nicht das Ende dieſes Jahr-<lb/> hunderts erlebt hat. Aus demſelben Grunde erkannten wir<lb/> bei einem Buche aus einer früheren Periode, dem Schlegel-<lb/> ſchen, weit leichter den eigentlichen Mittelpunkt, als bei einem<lb/> Buche aus der jetzigſten Gegenwart. Nur ſo viel ſehen wir,<lb/> der Mittelpunkt des Menzelſchen Buches iſt nicht mehr die<lb/> Jdee der Kunſt. Menzel ſucht viel eher das Verhältniß des<lb/> Lebens zu den Büchern aufzufaſſen, einen Organismus in der<lb/> Schriftwelt zu entdecken, es iſt uns manchmal vorgekommen,<lb/> als betrachte er die Literatur wie eine Vegetation – und da<lb/> wandelt er mit uns herum und botaniſirt, und nennt die<lb/> Bäume bei ihren Namen, reiſst Witze über die gröſsten Eichen,<lb/> riecht humoriſtiſch an jedem Tulpenbeet, küſst jede Roſe, neigt<lb/> ſich freundlich zu einigen befreundeten Wieſenblümchen, und<lb/> ſchaut dabei ſo klug, daſs wir faſt glauben möchten, er höre<lb/> das Gras wachſen.</p><lb/> <p>Andererſeits erkennen wir bei Menzel ein Streben nach<lb/> Wissenſchaftlichkeit, welches ebenfalls eine Tendenz unſerer<lb/> neueſten Zeit iſt, eine jener Tendenzen, wodurch ſie ſich von der<lb/> früheren Kunſtperiode unterſcheidet. Wir haben groſse geiſtige<lb/> Eroberungen gemacht, und die Wiſſenschaft ſoll ſie als unſer<lb/> Eigenthum ſichern. Diesſe Bedeutung derſelben hat ſogar die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [287/0005]
punkt des Ganzen. Bilden aber die Schlegelſchen Vorleſun-
gen ſolchermaſsen ein Literaturepos, ſo erſcheint uns hingegen
das Menzelſche Werk wie ein bewegtes Drama, die Jntereſſen
der Zeit treten auf und halten ihre Monologe, die Leiden-
ſchaften, Wünſche, Hoffnungen, Furcht und Mitleid ſpre-
chen ſich aus, die Freunde rathen, die Feinde drängen, die
Parteien ſtehen ſich gegenüber, der Vfr. läſst allen ihr Recht
widerfahren, als ächter Dramatiker behandelt er keine der
kämpfenden Parteien mit allzu beſonderer Vorliebe, und
wenn wir etwas vermiſſen, ſo iſt es nur der Chorus, der die
letzte Bedeutung des Kampfes ruhig ausſpricht. Dieſen
Chorus aber konnte uns Herr Menzel nicht geben, wegen des
einfachen Umſtandes, daſs er noch nicht das Ende dieſes Jahr-
hunderts erlebt hat. Aus demſelben Grunde erkannten wir
bei einem Buche aus einer früheren Periode, dem Schlegel-
ſchen, weit leichter den eigentlichen Mittelpunkt, als bei einem
Buche aus der jetzigſten Gegenwart. Nur ſo viel ſehen wir,
der Mittelpunkt des Menzelſchen Buches iſt nicht mehr die
Jdee der Kunſt. Menzel ſucht viel eher das Verhältniß des
Lebens zu den Büchern aufzufaſſen, einen Organismus in der
Schriftwelt zu entdecken, es iſt uns manchmal vorgekommen,
als betrachte er die Literatur wie eine Vegetation – und da
wandelt er mit uns herum und botaniſirt, und nennt die
Bäume bei ihren Namen, reiſst Witze über die gröſsten Eichen,
riecht humoriſtiſch an jedem Tulpenbeet, küſst jede Roſe, neigt
ſich freundlich zu einigen befreundeten Wieſenblümchen, und
ſchaut dabei ſo klug, daſs wir faſt glauben möchten, er höre
das Gras wachſen.
Andererſeits erkennen wir bei Menzel ein Streben nach
Wissenſchaftlichkeit, welches ebenfalls eine Tendenz unſerer
neueſten Zeit iſt, eine jener Tendenzen, wodurch ſie ſich von der
früheren Kunſtperiode unterſcheidet. Wir haben groſse geiſtige
Eroberungen gemacht, und die Wiſſenschaft ſoll ſie als unſer
Eigenthum ſichern. Diesſe Bedeutung derſelben hat ſogar die
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Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription.
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