tur, wenn sie groß und herrlich werden soll, muß freye Luft haben. Freylich muß der Stoff dazu in den Urkräften liegen; und ein guter Er- zieher sollte doch einiger maßen die Vortreflichkeit der Pflanzen kennen. Jeder gewaltige Geist wirft schon in der Kindheit, obgleich noch im Chaos und Nebel, helle Strahlen von sich. Alkibiades legt sich als spielender Knabe Wagen und Ochsen in den Weg, zwingt den Treiber zu halten; Scipio erkannte den künftigen Marius im jungen Soldaten. Ein einziger Gedanke, nur eine That, von scharfem tiefem Gefühl oder vielfacher Ueberlegung entsprossen, obgleich noch roh auf verschiednen Seiten, ist eine glückliche Vor- bedeutung; und so Schnelligkeit zu fassen und zu behalten: hingegen Allgehorsam und Frauba- sengutartigkeit, so beliebt bey Pedanten, eine unglückliche; denn da ist kein Muht und keine Kraft. Alles, was in die jungen Seelen einge- trichtert wird, was sie nicht aus eigner Lust und
Lie-
tur, wenn ſie groß und herrlich werden ſoll, muß freye Luft haben. Freylich muß der Stoff dazu in den Urkraͤften liegen; und ein guter Er- zieher ſollte doch einiger maßen die Vortreflichkeit der Pflanzen kennen. Jeder gewaltige Geiſt wirft ſchon in der Kindheit, obgleich noch im Chaos und Nebel, helle Strahlen von ſich. Alkibiades legt ſich als ſpielender Knabe Wagen und Ochſen in den Weg, zwingt den Treiber zu halten; Scipio erkannte den kuͤnftigen Marius im jungen Soldaten. Ein einziger Gedanke, nur eine That, von ſcharfem tiefem Gefuͤhl oder vielfacher Ueberlegung entſproſſen, obgleich noch roh auf verſchiednen Seiten, iſt eine gluͤckliche Vor- bedeutung; und ſo Schnelligkeit zu faſſen und zu behalten: hingegen Allgehorſam und Frauba- ſengutartigkeit, ſo beliebt bey Pedanten, eine ungluͤckliche; denn da iſt kein Muht und keine Kraft. Alles, was in die jungen Seelen einge- trichtert wird, was ſie nicht aus eigner Luſt und
Lie-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0116"n="110"/>
tur, wenn ſie groß und herrlich werden ſoll,<lb/>
muß freye Luft haben. Freylich muß der Stoff<lb/>
dazu in den Urkraͤften liegen; und ein guter Er-<lb/>
zieher ſollte doch einiger maßen die Vortreflichkeit<lb/>
der Pflanzen kennen. Jeder gewaltige Geiſt<lb/>
wirft ſchon in der Kindheit, obgleich noch im<lb/>
Chaos und Nebel, helle Strahlen von ſich.<lb/><hirendition="#fr">Alkibiades</hi> legt ſich als ſpielender Knabe Wagen<lb/>
und Ochſen in den Weg, zwingt den Treiber zu<lb/>
halten; Scipio erkannte den kuͤnftigen <hirendition="#fr">Marius</hi><lb/>
im jungen Soldaten. Ein einziger Gedanke,<lb/>
nur eine That, von ſcharfem tiefem Gefuͤhl oder<lb/>
vielfacher Ueberlegung entſproſſen, obgleich noch<lb/>
roh auf verſchiednen Seiten, iſt eine gluͤckliche Vor-<lb/>
bedeutung; und ſo Schnelligkeit zu faſſen und<lb/>
zu behalten: hingegen Allgehorſam und Frauba-<lb/>ſengutartigkeit, ſo beliebt bey Pedanten, eine<lb/>
ungluͤckliche; denn da iſt kein Muht und keine<lb/>
Kraft. Alles, was in die jungen Seelen einge-<lb/>
trichtert wird, was ſie nicht aus eigner Luſt und<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Lie-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[110/0116]
tur, wenn ſie groß und herrlich werden ſoll,
muß freye Luft haben. Freylich muß der Stoff
dazu in den Urkraͤften liegen; und ein guter Er-
zieher ſollte doch einiger maßen die Vortreflichkeit
der Pflanzen kennen. Jeder gewaltige Geiſt
wirft ſchon in der Kindheit, obgleich noch im
Chaos und Nebel, helle Strahlen von ſich.
Alkibiades legt ſich als ſpielender Knabe Wagen
und Ochſen in den Weg, zwingt den Treiber zu
halten; Scipio erkannte den kuͤnftigen Marius
im jungen Soldaten. Ein einziger Gedanke,
nur eine That, von ſcharfem tiefem Gefuͤhl oder
vielfacher Ueberlegung entſproſſen, obgleich noch
roh auf verſchiednen Seiten, iſt eine gluͤckliche Vor-
bedeutung; und ſo Schnelligkeit zu faſſen und
zu behalten: hingegen Allgehorſam und Frauba-
ſengutartigkeit, ſo beliebt bey Pedanten, eine
ungluͤckliche; denn da iſt kein Muht und keine
Kraft. Alles, was in die jungen Seelen einge-
trichtert wird, was ſie nicht aus eigner Luſt und
Lie-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/116>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.