Sie hätte gar nicht nöthig gehabt ihm zu sitzen; aber er zauderte mit Fleiß, und schien auf Nichts acht zu geben, als die eigensten und bedeutendsten Züge von ihr recht zu fassen. Er bat sie, so ganz bloß als unbekannter Mahler, sie möchte sich nur völlig frey ihrem Wesen überlassen, und thun wie sonst in der Gesellschaft, oder als ob sie al- lein wäre; er müsse von selbst aus den mancher- ley Bewegungen ihrer Seele auf der Oberfläche des Körpers ihren Charakter abnehmen, und sei- ne Phantasie das Ganze bilden. Ein gutes Porträt sey platterdings keine bloße Abschrift, und es gehöre dazu das tiefste Studium des Men- schen, wovon er noch leider weit entfernt, wozu er auch zu jung wäre; aber er wolle nach Ver- mögen das Seinige thun.
Ihre Mutter war immer dabey zugegen, und der Bräutigam, und einige von seinen und ihren Verwandten gingen auf und ab. Cäcilia war sehr aufgeräumt, sprach und scherzte, und
hat-
Sie haͤtte gar nicht noͤthig gehabt ihm zu ſitzen; aber er zauderte mit Fleiß, und ſchien auf Nichts acht zu geben, als die eigenſten und bedeutendſten Zuͤge von ihr recht zu faſſen. Er bat ſie, ſo ganz bloß als unbekannter Mahler, ſie moͤchte ſich nur voͤllig frey ihrem Weſen uͤberlaſſen, und thun wie ſonſt in der Geſellſchaft, oder als ob ſie al- lein waͤre; er muͤſſe von ſelbſt aus den mancher- ley Bewegungen ihrer Seele auf der Oberflaͤche des Koͤrpers ihren Charakter abnehmen, und ſei- ne Phantaſie das Ganze bilden. Ein gutes Portraͤt ſey platterdings keine bloße Abſchrift, und es gehoͤre dazu das tiefſte Studium des Men- ſchen, wovon er noch leider weit entfernt, wozu er auch zu jung waͤre; aber er wolle nach Ver- moͤgen das Seinige thun.
Ihre Mutter war immer dabey zugegen, und der Braͤutigam, und einige von ſeinen und ihren Verwandten gingen auf und ab. Caͤcilia war ſehr aufgeraͤumt, ſprach und ſcherzte, und
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Sie haͤtte gar nicht noͤthig gehabt ihm zu ſitzen;
aber er zauderte mit Fleiß, und ſchien auf Nichts
acht zu geben, als die eigenſten und bedeutendſten
Zuͤge von ihr recht zu faſſen. Er bat ſie, ſo ganz
bloß als unbekannter Mahler, ſie moͤchte ſich nur
voͤllig frey ihrem Weſen uͤberlaſſen, und thun
wie ſonſt in der Geſellſchaft, oder als ob ſie al-
lein waͤre; er muͤſſe von ſelbſt aus den mancher-
ley Bewegungen ihrer Seele auf der Oberflaͤche
des Koͤrpers ihren Charakter abnehmen, und ſei-
ne Phantaſie das Ganze bilden. Ein gutes
Portraͤt ſey platterdings keine bloße Abſchrift,
und es gehoͤre dazu das tiefſte Studium des Men-
ſchen, wovon er noch leider weit entfernt, wozu
er auch zu jung waͤre; aber er wolle nach Ver-
moͤgen das Seinige thun.
Ihre Mutter war immer dabey zugegen,
und der Braͤutigam, und einige von ſeinen und
ihren Verwandten gingen auf und ab. Caͤcilia
war ſehr aufgeraͤumt, ſprach und ſcherzte, und
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/132>, abgerufen am 21.11.2024.
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