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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787.

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Zu Anfang Novembers erhielt ich folgenden
Brief von meinem Freunde.

Genua, November.

Wie ich aus dem Fruchtbaren großen Thale
der Lombardey, von hundert Flüssen durchströmt,
das seines gleichen in der Welt nicht hat, durch
die wilden kahlen Felsenkrümmen des Apennin
hinauf trat, und endlich aus der Bochetta her-
vor, von heitern Lüften umspielt, daß die Locken
um meine heißen Schläfe flatterten, oben auf der
Höhe das tiefe breite Meer unter mir glänzen sah,
von süßen Strahlengewölk des Abends umla-
gert: Gott, wie ergriff das mein Herz und alle
Sinne! wie die Thetis Homers mit einem
Sprung vom Olymp hätt ich mich in die ewige
Lebensfülle hineinstürzen, und wie ein Wallfisch
darin herumtaumeln und alle meine Leiden ab-
kühlen mögen.

Ich blieb hier die Nacht bey einem alten
Schäfer, der Chronik der Gegend; und sah die

Ster-

Zu Anfang Novembers erhielt ich folgenden
Brief von meinem Freunde.

Genua, November.

Wie ich aus dem Fruchtbaren großen Thale
der Lombardey, von hundert Fluͤſſen durchſtroͤmt,
das ſeines gleichen in der Welt nicht hat, durch
die wilden kahlen Felſenkruͤmmen des Apennin
hinauf trat, und endlich aus der Bochetta her-
vor, von heitern Luͤften umſpielt, daß die Locken
um meine heißen Schlaͤfe flatterten, oben auf der
Hoͤhe das tiefe breite Meer unter mir glaͤnzen ſah,
von ſuͤßen Strahlengewoͤlk des Abends umla-
gert: Gott, wie ergriff das mein Herz und alle
Sinne! wie die Thetis Homers mit einem
Sprung vom Olymp haͤtt ich mich in die ewige
Lebensfuͤlle hineinſtuͤrzen, und wie ein Wallfiſch
darin herumtaumeln und alle meine Leiden ab-
kuͤhlen moͤgen.

Ich blieb hier die Nacht bey einem alten
Schaͤfer, der Chronik der Gegend; und ſah die

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[172/0178] Zu Anfang Novembers erhielt ich folgenden Brief von meinem Freunde. Genua, November. Wie ich aus dem Fruchtbaren großen Thale der Lombardey, von hundert Fluͤſſen durchſtroͤmt, das ſeines gleichen in der Welt nicht hat, durch die wilden kahlen Felſenkruͤmmen des Apennin hinauf trat, und endlich aus der Bochetta her- vor, von heitern Luͤften umſpielt, daß die Locken um meine heißen Schlaͤfe flatterten, oben auf der Hoͤhe das tiefe breite Meer unter mir glaͤnzen ſah, von ſuͤßen Strahlengewoͤlk des Abends umla- gert: Gott, wie ergriff das mein Herz und alle Sinne! wie die Thetis Homers mit einem Sprung vom Olymp haͤtt ich mich in die ewige Lebensfuͤlle hineinſtuͤrzen, und wie ein Wallfiſch darin herumtaumeln und alle meine Leiden ab- kuͤhlen moͤgen. Ich blieb hier die Nacht bey einem alten Schaͤfer, der Chronik der Gegend; und ſah die Ster-

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Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/178>, abgerufen am 17.05.2024.