erbaut habe, der sie für jede Gunst doch nur ei- nen Stein herbeyschaffen durften; und daß folg- lich bey allen die Arbeit nicht gleich sauer gewesen seyn möge. "Wer den letzten lieferte, antwor- tete er lachend, und dem Werk die Krone auf- setzte, muß wenigstens guten Muht gehabt haben."
Er machte mir alsdenn eine angenehme Beschreibung von den Sitten mancher Länder, die er durchstrichen war. Zum Exempel von Georgien und Cirkassien, wo die schönsten Men- schen leben, sagt er, daß die Kinder da hervor- kämen, wie die Blumen und Früchte auf dem Felde, und man von keiner Eifersucht wisse. Die Männer hielten sich bloß für das Mittel ihrer Entstehung, und bildeten sich nicht ein, als ob sie dieselben etwa selbst verfertigten, wie ein Kunstwerk, und wären dabey eitel auf ihren Verstand oder ihre Geschicklichkeit wie bey uns; und alle Welt lebte glücklicher ohne die Ketten und Fesseln.
Von
erbaut habe, der ſie fuͤr jede Gunſt doch nur ei- nen Stein herbeyſchaffen durften; und daß folg- lich bey allen die Arbeit nicht gleich ſauer geweſen ſeyn moͤge. „Wer den letzten lieferte, antwor- tete er lachend, und dem Werk die Krone auf- ſetzte, muß wenigſtens guten Muht gehabt haben.“
Er machte mir alsdenn eine angenehme Beſchreibung von den Sitten mancher Laͤnder, die er durchſtrichen war. Zum Exempel von Georgien und Cirkaſſien, wo die ſchoͤnſten Men- ſchen leben, ſagt er, daß die Kinder da hervor- kaͤmen, wie die Blumen und Fruͤchte auf dem Felde, und man von keiner Eiferſucht wiſſe. Die Maͤnner hielten ſich bloß fuͤr das Mittel ihrer Entſtehung, und bildeten ſich nicht ein, als ob ſie dieſelben etwa ſelbſt verfertigten, wie ein Kunſtwerk, und waͤren dabey eitel auf ihren Verſtand oder ihre Geſchicklichkeit wie bey uns; und alle Welt lebte gluͤcklicher ohne die Ketten und Feſſeln.
Von
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0243"n="237"/>
erbaut habe, der ſie fuͤr jede Gunſt doch nur ei-<lb/>
nen Stein herbeyſchaffen durften; und daß folg-<lb/>
lich bey allen die Arbeit nicht gleich ſauer geweſen<lb/>ſeyn moͤge. „Wer den letzten lieferte, antwor-<lb/>
tete er lachend, und dem Werk die Krone auf-<lb/>ſetzte, muß wenigſtens guten Muht gehabt haben.“</p><lb/><p>Er machte mir alsdenn eine angenehme<lb/>
Beſchreibung von den Sitten mancher Laͤnder,<lb/>
die er durchſtrichen war. Zum Exempel von<lb/>
Georgien und Cirkaſſien, wo die ſchoͤnſten Men-<lb/>ſchen leben, ſagt er, daß die Kinder da hervor-<lb/>
kaͤmen, wie die Blumen und Fruͤchte auf dem<lb/>
Felde, und man von keiner Eiferſucht wiſſe.<lb/>
Die Maͤnner hielten ſich bloß fuͤr das Mittel ihrer<lb/>
Entſtehung, und bildeten ſich nicht ein, als ob<lb/>ſie dieſelben etwa ſelbſt verfertigten, wie ein<lb/>
Kunſtwerk, und waͤren dabey eitel auf ihren<lb/>
Verſtand oder ihre Geſchicklichkeit wie bey uns;<lb/>
und alle Welt lebte gluͤcklicher ohne die Ketten<lb/>
und Feſſeln.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Von</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[237/0243]
erbaut habe, der ſie fuͤr jede Gunſt doch nur ei-
nen Stein herbeyſchaffen durften; und daß folg-
lich bey allen die Arbeit nicht gleich ſauer geweſen
ſeyn moͤge. „Wer den letzten lieferte, antwor-
tete er lachend, und dem Werk die Krone auf-
ſetzte, muß wenigſtens guten Muht gehabt haben.“
Er machte mir alsdenn eine angenehme
Beſchreibung von den Sitten mancher Laͤnder,
die er durchſtrichen war. Zum Exempel von
Georgien und Cirkaſſien, wo die ſchoͤnſten Men-
ſchen leben, ſagt er, daß die Kinder da hervor-
kaͤmen, wie die Blumen und Fruͤchte auf dem
Felde, und man von keiner Eiferſucht wiſſe.
Die Maͤnner hielten ſich bloß fuͤr das Mittel ihrer
Entſtehung, und bildeten ſich nicht ein, als ob
ſie dieſelben etwa ſelbſt verfertigten, wie ein
Kunſtwerk, und waͤren dabey eitel auf ihren
Verſtand oder ihre Geſchicklichkeit wie bey uns;
und alle Welt lebte gluͤcklicher ohne die Ketten
und Feſſeln.
Von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/243>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.