Ich möchte mich lieber mit dir nur weni- ge Augenblicke mündlich unterhalten, als in dem längsten triftigsten Buchstabenwechsel.
Ich habe Cäcilien schon zum zweytenmal gesprochen; das erstemal in Gesellschaft, und dar- auf vor wenig Tagen allein. Sie ist hoch schwan- ger, gesund und bey Kräften; und Mutter und Brüder und Freunde und Gespielinnen geben sich alle Mühe, ihr neue Ergötzlichkeiten zu verschaf- fen. Es ist eine wahre Augenweide, eine so junge reizende Frau am Ziel ihrer Bestimmung zu sehn, und einem Fremden, der nichts von ihr hoft und erwartet, muß sie so selbst schöner und vollkommner seyn, als sie als Mädchen war; geschweige dem glücklichen Geliebten, der die süße Frucht seiner Liebe so heranreifen sähe. Ar- dinghello, du bist ein Göttersohn, zu hohem Wohl erkohren; nur verscherze dein Heil nicht!
Das
R 2
Venedig, Merz.
Ich moͤchte mich lieber mit dir nur weni- ge Augenblicke muͤndlich unterhalten, als in dem laͤngſten triftigſten Buchſtabenwechſel.
Ich habe Caͤcilien ſchon zum zweytenmal geſprochen; das erſtemal in Geſellſchaft, und dar- auf vor wenig Tagen allein. Sie iſt hoch ſchwan- ger, geſund und bey Kraͤften; und Mutter und Bruͤder und Freunde und Geſpielinnen geben ſich alle Muͤhe, ihr neue Ergoͤtzlichkeiten zu verſchaf- fen. Es iſt eine wahre Augenweide, eine ſo junge reizende Frau am Ziel ihrer Beſtimmung zu ſehn, und einem Fremden, der nichts von ihr hoft und erwartet, muß ſie ſo ſelbſt ſchoͤner und vollkommner ſeyn, als ſie als Maͤdchen war; geſchweige dem gluͤcklichen Geliebten, der die ſuͤße Frucht ſeiner Liebe ſo heranreifen ſaͤhe. Ar- dinghello, du biſt ein Goͤtterſohn, zu hohem Wohl erkohren; nur verſcherze dein Heil nicht!
Das
R 2
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0265"n="259"/><p><hirendition="#c">Venedig, Merz.</hi></p><lb/><p>Ich moͤchte mich lieber mit dir nur weni-<lb/>
ge Augenblicke muͤndlich unterhalten, als in dem<lb/>
laͤngſten triftigſten Buchſtabenwechſel.</p><lb/><p>Ich habe Caͤcilien ſchon zum zweytenmal<lb/>
geſprochen; das erſtemal in Geſellſchaft, und dar-<lb/>
auf vor wenig Tagen allein. Sie iſt hoch ſchwan-<lb/>
ger, geſund und bey Kraͤften; und Mutter und<lb/>
Bruͤder und Freunde und Geſpielinnen geben ſich<lb/>
alle Muͤhe, ihr neue Ergoͤtzlichkeiten zu verſchaf-<lb/>
fen. Es iſt eine wahre Augenweide, eine ſo<lb/>
junge reizende Frau am Ziel ihrer Beſtimmung<lb/>
zu ſehn, und einem Fremden, der nichts von ihr<lb/>
hoft und erwartet, muß ſie ſo ſelbſt ſchoͤner und<lb/>
vollkommner ſeyn, als ſie als Maͤdchen war;<lb/>
geſchweige dem gluͤcklichen Geliebten, der die<lb/>ſuͤße Frucht ſeiner Liebe ſo heranreifen ſaͤhe. Ar-<lb/>
dinghello, du biſt ein Goͤtterſohn, zu hohem<lb/>
Wohl erkohren; nur verſcherze dein Heil<lb/>
nicht!</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">R 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Das</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[259/0265]
Venedig, Merz.
Ich moͤchte mich lieber mit dir nur weni-
ge Augenblicke muͤndlich unterhalten, als in dem
laͤngſten triftigſten Buchſtabenwechſel.
Ich habe Caͤcilien ſchon zum zweytenmal
geſprochen; das erſtemal in Geſellſchaft, und dar-
auf vor wenig Tagen allein. Sie iſt hoch ſchwan-
ger, geſund und bey Kraͤften; und Mutter und
Bruͤder und Freunde und Geſpielinnen geben ſich
alle Muͤhe, ihr neue Ergoͤtzlichkeiten zu verſchaf-
fen. Es iſt eine wahre Augenweide, eine ſo
junge reizende Frau am Ziel ihrer Beſtimmung
zu ſehn, und einem Fremden, der nichts von ihr
hoft und erwartet, muß ſie ſo ſelbſt ſchoͤner und
vollkommner ſeyn, als ſie als Maͤdchen war;
geſchweige dem gluͤcklichen Geliebten, der die
ſuͤße Frucht ſeiner Liebe ſo heranreifen ſaͤhe. Ar-
dinghello, du biſt ein Goͤtterſohn, zu hohem
Wohl erkohren; nur verſcherze dein Heil
nicht!
Das
R 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/265>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.