Ich sitze hier an den Höhen des Thals von Lucca, wo über mir der Wind durch die Buchen säuselt, und unter mir die Quellen rieseln, bewegt in der innersten Seele, wie am Scheidewege meines Lebens. O wer die Zukunft aufhüllen könnte! Aber diese kennt Niemand, als der, der alles weiß; wir sind nur Funken, unsers Schicksals ungewiß, die in dem Unermeß- lichen herumstäuben. Wohl dem, der wie ein Schmetterling sich an den Blumen ergötzt, die er vor sich findet! hat der, welcher mit Gefah- ren kämpfte und sein Ziel errang, am End etwas bessers? Genuß jedes Augenblickes, fern von Vergangenheit und Zukunft, versetzt uns unter die Götter. Was hat der Mensch und jedes We-
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Lucca, May.
Ich ſitze hier an den Hoͤhen des Thals von Lucca, wo uͤber mir der Wind durch die Buchen ſaͤuſelt, und unter mir die Quellen rieſeln, bewegt in der innerſten Seele, wie am Scheidewege meines Lebens. O wer die Zukunft aufhuͤllen koͤnnte! Aber dieſe kennt Niemand, als der, der alles weiß; wir ſind nur Funken, unſers Schickſals ungewiß, die in dem Unermeß- lichen herumſtaͤuben. Wohl dem, der wie ein Schmetterling ſich an den Blumen ergoͤtzt, die er vor ſich findet! hat der, welcher mit Gefah- ren kaͤmpfte und ſein Ziel errang, am End etwas beſſers? Genuß jedes Augenblickes, fern von Vergangenheit und Zukunft, verſetzt uns unter die Goͤtter. Was hat der Menſch und jedes We-
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Lucca, May.
Ich ſitze hier an den Hoͤhen des Thals von
Lucca, wo uͤber mir der Wind durch
die Buchen ſaͤuſelt, und unter mir die Quellen
rieſeln, bewegt in der innerſten Seele, wie am
Scheidewege meines Lebens. O wer die Zukunft
aufhuͤllen koͤnnte! Aber dieſe kennt Niemand,
als der, der alles weiß; wir ſind nur Funken,
unſers Schickſals ungewiß, die in dem Unermeß-
lichen herumſtaͤuben. Wohl dem, der wie ein
Schmetterling ſich an den Blumen ergoͤtzt, die
er vor ſich findet! hat der, welcher mit Gefah-
ren kaͤmpfte und ſein Ziel errang, am End etwas
beſſers? Genuß jedes Augenblickes, fern von
Vergangenheit und Zukunft, verſetzt uns unter
die Goͤtter. Was hat der Menſch und jedes We-
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/281>, abgerufen am 22.11.2024.
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