Sehnen des Michel Angelo desto besser schmecken und bekommen."
"Dieß ist lauter Sophisterey, antwortete er. Der Mahler gibt sich mit der Oberfläche ab, und diese zeigt sich blos durch Farbe; und er hat mit dem Wesentlichen der Dinge im eigentlichen Verstande wenig zu schaffen. Wer sich einmal in diese Grillen verliert, kann so leicht nicht wie- der herauskommen. Das Zeichnen ist bloß ein nohtwendig Uebel, die Proporzionen leicht zu finden: die Farbe, das Ziel, Anfang und Ende der Kunst. Es versteht sich, daß ich hier vom Materiellen spreche. Dem Gerüste den Rang über das Gebäude geben zu wollen, ist ja lächer- lich; dem Zeichen, welches menschliche Schwach- heit erfand, vor der Sache selbst, wenn ich so reden darf. Das Hohle und das Erhobne, Dunkle und Helle, das Harte und Weiche, und Junge und Alte, wie kann man es anders herausbrin- gen, als durch Farbe? Form und Ausdruck kann
nicht
B 5
Sehnen des Michel Angelo deſto beſſer ſchmecken und bekommen.“
„Dieß iſt lauter Sophiſterey, antwortete er. Der Mahler gibt ſich mit der Oberflaͤche ab, und dieſe zeigt ſich blos durch Farbe; und er hat mit dem Weſentlichen der Dinge im eigentlichen Verſtande wenig zu ſchaffen. Wer ſich einmal in dieſe Grillen verliert, kann ſo leicht nicht wie- der herauskommen. Das Zeichnen iſt bloß ein nohtwendig Uebel, die Proporzionen leicht zu finden: die Farbe, das Ziel, Anfang und Ende der Kunſt. Es verſteht ſich, daß ich hier vom Materiellen ſpreche. Dem Geruͤſte den Rang uͤber das Gebaͤude geben zu wollen, iſt ja laͤcher- lich; dem Zeichen, welches menſchliche Schwach- heit erfand, vor der Sache ſelbſt, wenn ich ſo reden darf. Das Hohle und das Erhobne, Dunkle und Helle, das Harte und Weiche, und Junge und Alte, wie kann man es anders herausbrin- gen, als durch Farbe? Form und Ausdruck kann
nicht
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Sehnen des Michel Angelo deſto beſſer ſchmecken
und bekommen.“
„Dieß iſt lauter Sophiſterey, antwortete
er. Der Mahler gibt ſich mit der Oberflaͤche ab,
und dieſe zeigt ſich blos durch Farbe; und er hat
mit dem Weſentlichen der Dinge im eigentlichen
Verſtande wenig zu ſchaffen. Wer ſich einmal
in dieſe Grillen verliert, kann ſo leicht nicht wie-
der herauskommen. Das Zeichnen iſt bloß ein
nohtwendig Uebel, die Proporzionen leicht zu
finden: die Farbe, das Ziel, Anfang und Ende
der Kunſt. Es verſteht ſich, daß ich hier vom
Materiellen ſpreche. Dem Geruͤſte den Rang
uͤber das Gebaͤude geben zu wollen, iſt ja laͤcher-
lich; dem Zeichen, welches menſchliche Schwach-
heit erfand, vor der Sache ſelbſt, wenn ich ſo
reden darf. Das Hohle und das Erhobne, Dunkle
und Helle, das Harte und Weiche, und Junge
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/31>, abgerufen am 24.11.2024.
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