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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787.

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martern, weil er nicht die große starke Selbst-
ständigkeit hat, die Leiden andrer außer sich zu
fühlen, ihre Natur und Eigenschaften wie jene
mit ihren Kräften zu ergründen und zu erkennen,
die Sphäre seines Geistes dabey zu erweitern,
und zugleich über alles dieß empor zu ragen, ohne sich
als Theil damit zu vermischen und selbst zu leiden.
Griechen und Römer vergnügte vieles, wovor
wir fromme moralische Seelen Abscheu haben.
Der letztern Fechter waren meist zum Tode ver-
dammte Sklaven; und die Tragödien der erstern
zeigten ihnen, wie Menschen untergehen, die
nicht vollkommen genug sind, und wie Held und
Heldin bey Ausübung hoher Tugenden leiden soll,
oder sich weise mit ganzem Bewußtseyn unter das
Gesetz der Nothwendigkeit, den ungefähren Zu-
sammenstoß der Begebenheiten, beugt. Dieß ergreift
männliche Seelen, und ein solch ausgewählt Le-
ben, von trivialen Lumpereyen fern, dringt in nichts
destoweniger rein und scharf-fühlende Herzen; es

ging

martern, weil er nicht die große ſtarke Selbſt-
ſtaͤndigkeit hat, die Leiden andrer außer ſich zu
fuͤhlen, ihre Natur und Eigenſchaften wie jene
mit ihren Kraͤften zu ergruͤnden und zu erkennen,
die Sphaͤre ſeines Geiſtes dabey zu erweitern,
und zugleich uͤber alles dieß empor zu ragen, ohne ſich
als Theil damit zu vermiſchen und ſelbſt zu leiden.
Griechen und Roͤmer vergnuͤgte vieles, wovor
wir fromme moraliſche Seelen Abſcheu haben.
Der letztern Fechter waren meiſt zum Tode ver-
dammte Sklaven; und die Tragoͤdien der erſtern
zeigten ihnen, wie Menſchen untergehen, die
nicht vollkommen genug ſind, und wie Held und
Heldin bey Ausuͤbung hoher Tugenden leiden ſoll,
oder ſich weiſe mit ganzem Bewußtſeyn unter das
Geſetz der Nothwendigkeit, den ungefaͤhren Zu-
ſammenſtoß der Begebenheiten, beugt. Dieß ergreift
maͤnnliche Seelen, und ein ſolch ausgewaͤhlt Le-
ben, von trivialen Lumpereyen fern, dringt in nichts
deſtoweniger rein und ſcharf-fuͤhlende Herzen; es

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[331/0337] martern, weil er nicht die große ſtarke Selbſt- ſtaͤndigkeit hat, die Leiden andrer außer ſich zu fuͤhlen, ihre Natur und Eigenſchaften wie jene mit ihren Kraͤften zu ergruͤnden und zu erkennen, die Sphaͤre ſeines Geiſtes dabey zu erweitern, und zugleich uͤber alles dieß empor zu ragen, ohne ſich als Theil damit zu vermiſchen und ſelbſt zu leiden. Griechen und Roͤmer vergnuͤgte vieles, wovor wir fromme moraliſche Seelen Abſcheu haben. Der letztern Fechter waren meiſt zum Tode ver- dammte Sklaven; und die Tragoͤdien der erſtern zeigten ihnen, wie Menſchen untergehen, die nicht vollkommen genug ſind, und wie Held und Heldin bey Ausuͤbung hoher Tugenden leiden ſoll, oder ſich weiſe mit ganzem Bewußtſeyn unter das Geſetz der Nothwendigkeit, den ungefaͤhren Zu- ſammenſtoß der Begebenheiten, beugt. Dieß ergreift maͤnnliche Seelen, und ein ſolch ausgewaͤhlt Le- ben, von trivialen Lumpereyen fern, dringt in nichts deſtoweniger rein und ſcharf-fuͤhlende Herzen; es ging

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Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/337>, abgerufen am 22.11.2024.