als ob ein himmlischer Kraftvoller Genius her- untergekommen wäre, und Mitleiden mit allen den Stümpern gehabt und denselben gezeigt hätte, wie ein Christus am Kreuz, und eine Madonna und ein Johannes dabey vorzustellen sey. Er ist bis zur Täuschung angenagelt, und bewegt sich gerade dazu, wie es sich schickt."
"Die Mutter ist ein hohes Weib, noch in unverwelkter Schönheit, ihres Adels bewußt, die über die Grausamkeit zürnt, welche man an dem Sohn ausübt, sein ganzes Leiden fühlt mit dem weinenden Feuerblick: aber in der Zerknir- schung noch solche Festigkeit und Erleuchtung hat, um erhabner als eine Niobe dabey zu stehen und anzuschauen."
Der junge Künstler fuhr auf, drückte mir beyde Hände, freudig und verschämt im Gesichte glühend, und sprach freundlich zu mir: Ich habe nur gelästert, um den dort zu schrauben; und überhaupt erfährt man mit den bittersten Wie-
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als ob ein himmliſcher Kraftvoller Genius her- untergekommen waͤre, und Mitleiden mit allen den Stuͤmpern gehabt und denſelben gezeigt haͤtte, wie ein Chriſtus am Kreuz, und eine Madonna und ein Johannes dabey vorzuſtellen ſey. Er iſt bis zur Taͤuſchung angenagelt, und bewegt ſich gerade dazu, wie es ſich ſchickt.“
„Die Mutter iſt ein hohes Weib, noch in unverwelkter Schoͤnheit, ihres Adels bewußt, die uͤber die Grauſamkeit zuͤrnt, welche man an dem Sohn ausuͤbt, ſein ganzes Leiden fuͤhlt mit dem weinenden Feuerblick: aber in der Zerknir- ſchung noch ſolche Feſtigkeit und Erleuchtung hat, um erhabner als eine Niobe dabey zu ſtehen und anzuſchauen.“
Der junge Kuͤnſtler fuhr auf, druͤckte mir beyde Haͤnde, freudig und verſchaͤmt im Geſichte gluͤhend, und ſprach freundlich zu mir: Ich habe nur gelaͤſtert, um den dort zu ſchrauben; und uͤberhaupt erfaͤhrt man mit den bitterſten Wie-
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als ob ein himmliſcher Kraftvoller Genius her-
untergekommen waͤre, und Mitleiden mit allen
den Stuͤmpern gehabt und denſelben gezeigt haͤtte,
wie ein Chriſtus am Kreuz, und eine Madonna
und ein Johannes dabey vorzuſtellen ſey. Er iſt
bis zur Taͤuſchung angenagelt, und bewegt ſich
gerade dazu, wie es ſich ſchickt.“
„Die Mutter iſt ein hohes Weib, noch in
unverwelkter Schoͤnheit, ihres Adels bewußt,
die uͤber die Grauſamkeit zuͤrnt, welche man an
dem Sohn ausuͤbt, ſein ganzes Leiden fuͤhlt mit
dem weinenden Feuerblick: aber in der Zerknir-
ſchung noch ſolche Feſtigkeit und Erleuchtung hat,
um erhabner als eine Niobe dabey zu ſtehen und
anzuſchauen.“
Der junge Kuͤnſtler fuhr auf, druͤckte mir
beyde Haͤnde, freudig und verſchaͤmt im Geſichte
gluͤhend, und ſprach freundlich zu mir: Ich habe
nur gelaͤſtert, um den dort zu ſchrauben; und
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/349>, abgerufen am 22.11.2024.
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