näos mahlte dieselbe, da dieser selbst sie in Stein nicht vorstellen konnte, weil kleine Figuren dar- in nicht wirken, und die Materie fürs Weit- läuftige zu unbehülflich ist."
Es ist wohl keine Frage, welche von beyden Künsten die Formen des Menschen besser dar- stellen kann. Die Mahlerey ist eine beständige Lüge, und ihre Erhobenheit und Tiefe erkünstelt. Wir lassen uns täuschen, weil völlige Wahrheit und Wirklichkeit wie bey Bildhauerey unmöglich ist, und geben uns zu unserm eignen Vergnügen alle Mühe, die Köpfe und überhaupt das Na- ckende z. B. vom Tizian rund und hervorgehend, und die Fernen und Mittelgründe seiner Land- schaften im gehörigen Abstand zu sehen. Ihre eigent- lichen Gegenstände sind, wo die Farbe, leichte Be- wegung und zarter Stoff einen vorzüglichen Theil ausmacht. Die Neuheit hauptsächlich, und dann die überwundne Schwierigkeit machten sie unter dem Zeuxis und Apelles so reizend; und
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naͤos mahlte dieſelbe, da dieſer ſelbſt ſie in Stein nicht vorſtellen konnte, weil kleine Figuren dar- in nicht wirken, und die Materie fuͤrs Weit- laͤuftige zu unbehuͤlflich iſt.“
Es iſt wohl keine Frage, welche von beyden Kuͤnſten die Formen des Menſchen beſſer dar- ſtellen kann. Die Mahlerey iſt eine beſtaͤndige Luͤge, und ihre Erhobenheit und Tiefe erkuͤnſtelt. Wir laſſen uns taͤuſchen, weil voͤllige Wahrheit und Wirklichkeit wie bey Bildhauerey unmoͤglich iſt, und geben uns zu unſerm eignen Vergnuͤgen alle Muͤhe, die Koͤpfe und uͤberhaupt das Na- ckende z. B. vom Tizian rund und hervorgehend, und die Fernen und Mittelgruͤnde ſeiner Land- ſchaften im gehoͤrigen Abſtand zu ſehen. Ihre eigent- lichen Gegenſtaͤnde ſind, wo die Farbe, leichte Be- wegung und zarter Stoff einen vorzuͤglichen Theil ausmacht. Die Neuheit hauptſaͤchlich, und dann die uͤberwundne Schwierigkeit machten ſie unter dem Zeuxis und Apelles ſo reizend; und
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naͤos mahlte dieſelbe, da dieſer ſelbſt ſie in Stein
nicht vorſtellen konnte, weil kleine Figuren dar-
in nicht wirken, und die Materie fuͤrs Weit-
laͤuftige zu unbehuͤlflich iſt.“
Es iſt wohl keine Frage, welche von beyden
Kuͤnſten die Formen des Menſchen beſſer dar-
ſtellen kann. Die Mahlerey iſt eine beſtaͤndige
Luͤge, und ihre Erhobenheit und Tiefe erkuͤnſtelt.
Wir laſſen uns taͤuſchen, weil voͤllige Wahrheit
und Wirklichkeit wie bey Bildhauerey unmoͤglich
iſt, und geben uns zu unſerm eignen Vergnuͤgen
alle Muͤhe, die Koͤpfe und uͤberhaupt das Na-
ckende z. B. vom Tizian rund und hervorgehend,
und die Fernen und Mittelgruͤnde ſeiner Land-
ſchaften im gehoͤrigen Abſtand zu ſehen. Ihre eigent-
lichen Gegenſtaͤnde ſind, wo die Farbe, leichte Be-
wegung und zarter Stoff einen vorzuͤglichen Theil
ausmacht. Die Neuheit hauptſaͤchlich, und
dann die uͤberwundne Schwierigkeit machten ſie
unter dem Zeuxis und Apelles ſo reizend; und
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/363>, abgerufen am 22.11.2024.
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