gewiß ists, daß die Farbe viel zur Täuschung, im Ganzen genommen, beyträgt. Auf den ersten Blick wirkt ein gemahltes Bild auch auf den Verständigen mehr, als eine eben so vor- trefliche Statue in ihrer Art; aber wenig Zeit und Besinnung macht die Mahlerey dagegen ganz verschwinden. Unter tausend Gesichte[r]n findet man ferner in einem guten Klima nur äußerst wenige für den Marmor, aber weit mehrere für die Farbe. Die Bildhauerkunst ist die ächte Probe schöner Form, und geht ins Wesentlichre, und das Erhabne: die Mahlerey giebt sich mit allem ab, wo sie nur ein wenig Reiz findet."
"Die letztere muß sich also vor allem hüten, was schon die Bildhauerey vollkommen darstel- len kann; und beyde müssen sich davor hüten, das Reich der Poesie zu beschreiten: denn jede bleibt überwunden, sobald sich nur ein gewöhnlich gu- ter Meister der andern Kunst an den Kampf macht. Poesie enthält sich der Formen und
Far-
gewiß iſts, daß die Farbe viel zur Taͤuſchung, im Ganzen genommen, beytraͤgt. Auf den erſten Blick wirkt ein gemahltes Bild auch auf den Verſtaͤndigen mehr, als eine eben ſo vor- trefliche Statue in ihrer Art; aber wenig Zeit und Beſinnung macht die Mahlerey dagegen ganz verſchwinden. Unter tauſend Geſichte[r]n findet man ferner in einem guten Klima nur aͤußerſt wenige fuͤr den Marmor, aber weit mehrere fuͤr die Farbe. Die Bildhauerkunſt iſt die aͤchte Probe ſchoͤner Form, und geht ins Weſentlichre, und das Erhabne: die Mahlerey giebt ſich mit allem ab, wo ſie nur ein wenig Reiz findet.“
„Die letztere muß ſich alſo vor allem huͤten, was ſchon die Bildhauerey vollkommen darſtel- len kann; und beyde muͤſſen ſich davor huͤten, das Reich der Poeſie zu beſchreiten: denn jede bleibt uͤberwunden, ſobald ſich nur ein gewoͤhnlich gu- ter Meiſter der andern Kunſt an den Kampf macht. Poeſie enthaͤlt ſich der Formen und
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gewiß iſts, daß die Farbe viel zur Taͤuſchung,
im Ganzen genommen, beytraͤgt. Auf den
erſten Blick wirkt ein gemahltes Bild auch auf
den Verſtaͤndigen mehr, als eine eben ſo vor-
trefliche Statue in ihrer Art; aber wenig Zeit
und Beſinnung macht die Mahlerey dagegen ganz
verſchwinden. Unter tauſend Geſichtern findet man
ferner in einem guten Klima nur aͤußerſt wenige
fuͤr den Marmor, aber weit mehrere fuͤr die
Farbe. Die Bildhauerkunſt iſt die aͤchte Probe
ſchoͤner Form, und geht ins Weſentlichre, und
das Erhabne: die Mahlerey giebt ſich mit allem
ab, wo ſie nur ein wenig Reiz findet.“
„Die letztere muß ſich alſo vor allem huͤten,
was ſchon die Bildhauerey vollkommen darſtel-
len kann; und beyde muͤſſen ſich davor huͤten, das
Reich der Poeſie zu beſchreiten: denn jede bleibt
uͤberwunden, ſobald ſich nur ein gewoͤhnlich gu-
ter Meiſter der andern Kunſt an den Kampf
macht. Poeſie enthaͤlt ſich der Formen und
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/364>, abgerufen am 22.11.2024.
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