ist sie eine große Zierde der Poesie und Geschich- te, die aber ganz natürlich ohne sie bestehen kön- nen. Poesie ist das innre Leben selbst: Bild von Farbe oder Stein bloß das Zeichen; wer jenes nicht schon in sich hat, kann bey diesem we- nig fühlen und erkennen."
"Wo hat in aller Welt je ein Gemählde die Wirkung hervorgebracht, die die Oedipe und Iphigenien hervorbrachten? und wo wird es je möglich seyn, daß eins solche hervorbringen könne, wenn man auch den Raphael, Correggio und Tizian in ein Wunderwesen zusammenschmelzte? Es ver- steht sich warlich, daß hier nicht davon die Rede sey, was päbstliche Neffen, und Mönchs- und Non- nenklöster theurer bezahlen."
"Ich leugne übrigens gar nicht, daß eine erstaunliche Phantasie und Fülle von Leben dazu gehört, sich einen Alkibiades, Perikles, oder die Asspasia so vorzustellen, und ihre Bilder durch die spätere Kunst lange Zeit nach ihnen so wirk-
lich
iſt ſie eine große Zierde der Poeſie und Geſchich- te, die aber ganz natuͤrlich ohne ſie beſtehen koͤn- nen. Poeſie iſt das innre Leben ſelbſt: Bild von Farbe oder Stein bloß das Zeichen; wer jenes nicht ſchon in ſich hat, kann bey dieſem we- nig fuͤhlen und erkennen.“
„Wo hat in aller Welt je ein Gemaͤhlde die Wirkung hervorgebracht, die die Oedipe und Iphigenien hervorbrachten? und wo wird es je moͤglich ſeyn, daß eins ſolche hervorbringen koͤnne, wenn man auch den Raphael, Correggio und Tizian in ein Wunderweſen zuſammenſchmelzte? Es ver- ſteht ſich warlich, daß hier nicht davon die Rede ſey, was paͤbſtliche Neffen, und Moͤnchs- und Non- nenkloͤſter theurer bezahlen.“
„Ich leugne uͤbrigens gar nicht, daß eine erſtaunliche Phantaſie und Fuͤlle von Leben dazu gehoͤrt, ſich einen Alkibiades, Perikles, oder die Asſpaſia ſo vorzuſtellen, und ihre Bilder durch die ſpaͤtere Kunſt lange Zeit nach ihnen ſo wirk-
lich
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iſt ſie eine große Zierde der Poeſie und Geſchich-
te, die aber ganz natuͤrlich ohne ſie beſtehen koͤn-
nen. Poeſie iſt das innre Leben ſelbſt: Bild
von Farbe oder Stein bloß das Zeichen; wer
jenes nicht ſchon in ſich hat, kann bey dieſem we-
nig fuͤhlen und erkennen.“
„Wo hat in aller Welt je ein Gemaͤhlde
die Wirkung hervorgebracht, die die Oedipe und
Iphigenien hervorbrachten? und wo wird es je
moͤglich ſeyn, daß eins ſolche hervorbringen koͤnne,
wenn man auch den Raphael, Correggio und Tizian
in ein Wunderweſen zuſammenſchmelzte? Es ver-
ſteht ſich warlich, daß hier nicht davon die Rede ſey,
was paͤbſtliche Neffen, und Moͤnchs- und Non-
nenkloͤſter theurer bezahlen.“
„Ich leugne uͤbrigens gar nicht, daß eine
erſtaunliche Phantaſie und Fuͤlle von Leben dazu
gehoͤrt, ſich einen Alkibiades, Perikles, oder
die Asſpaſia ſo vorzuſtellen, und ihre Bilder durch
die ſpaͤtere Kunſt lange Zeit nach ihnen ſo wirk-
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/380>, abgerufen am 22.11.2024.
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