Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

lich zu machen, aus bloßen Geschichtbüchern,
wie sie lebendig waren und handelten; denn in
der That -- hat es auch keiner noch gethan.
Allerley Gestalten träumen mag man sich wohl,
und wer sich an leerer Spreu satt ißt, mag dar-
nach gaffen und hinlaufen: aber Wahrheit, phy-
siognomische mit Leib und Leben wie Wirklichkeit,
ohne Miene und Gebehrde Punkt für Punkt von
der Natur selbst abzukonterfeyen, diese aus blo-
ßen Erzählungen und selbst eignen Reden der
Menschen zu erfinden; geht über des Menschen
Kräfte; dazu haben wir noch keine Wissenschaft,
keine Gründe und Regeln, weder Ja noch Nein.
Unser bestes sind noch die allgemeinen Züge der
Leidenschaften und andern Empfindungen, die
sich in Bewegungen besonders von außen zeigen,
durch öftre Wiederhohlung bey wirklichen Men-
schen sich in die Gestalt prägen, und nach und
nach Charakter bilden; aber mit dem Allgemei-
nen wird man bald fertig und es entsteht endlich
ein rasendes Einerley."

"Kurz,
A a 4

lich zu machen, aus bloßen Geſchichtbuͤchern,
wie ſie lebendig waren und handelten; denn in
der That — hat es auch keiner noch gethan.
Allerley Geſtalten traͤumen mag man ſich wohl,
und wer ſich an leerer Spreu ſatt ißt, mag dar-
nach gaffen und hinlaufen: aber Wahrheit, phy-
ſiognomiſche mit Leib und Leben wie Wirklichkeit,
ohne Miene und Gebehrde Punkt fuͤr Punkt von
der Natur ſelbſt abzukonterfeyen, dieſe aus blo-
ßen Erzaͤhlungen und ſelbſt eignen Reden der
Menſchen zu erfinden; geht uͤber des Menſchen
Kraͤfte; dazu haben wir noch keine Wiſſenſchaft,
keine Gruͤnde und Regeln, weder Ja noch Nein.
Unſer beſtes ſind noch die allgemeinen Zuͤge der
Leidenſchaften und andern Empfindungen, die
ſich in Bewegungen beſonders von außen zeigen,
durch oͤftre Wiederhohlung bey wirklichen Men-
ſchen ſich in die Geſtalt praͤgen, und nach und
nach Charakter bilden; aber mit dem Allgemei-
nen wird man bald fertig und es entſteht endlich
ein raſendes Einerley.“

„Kurz,
A a 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0381" n="375"/>
lich zu machen, aus bloßen Ge&#x017F;chichtbu&#x0364;chern,<lb/>
wie &#x017F;ie lebendig waren und handelten; denn in<lb/>
der That &#x2014; hat es auch keiner noch gethan.<lb/>
Allerley Ge&#x017F;talten tra&#x0364;umen mag man &#x017F;ich wohl,<lb/>
und wer &#x017F;ich an leerer Spreu &#x017F;att ißt, mag dar-<lb/>
nach gaffen und hinlaufen: aber Wahrheit, phy-<lb/>
&#x017F;iognomi&#x017F;che mit Leib und Leben wie Wirklichkeit,<lb/>
ohne Miene und Gebehrde Punkt fu&#x0364;r Punkt von<lb/>
der Natur &#x017F;elb&#x017F;t abzukonterfeyen, die&#x017F;e aus blo-<lb/>
ßen Erza&#x0364;hlungen und &#x017F;elb&#x017F;t eignen Reden der<lb/>
Men&#x017F;chen zu erfinden; geht u&#x0364;ber des Men&#x017F;chen<lb/>
Kra&#x0364;fte; dazu haben wir noch keine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft,<lb/>
keine Gru&#x0364;nde und Regeln, weder Ja noch Nein.<lb/>
Un&#x017F;er be&#x017F;tes &#x017F;ind noch die allgemeinen Zu&#x0364;ge der<lb/>
Leiden&#x017F;chaften und andern Empfindungen, die<lb/>
&#x017F;ich in Bewegungen be&#x017F;onders von außen zeigen,<lb/>
durch o&#x0364;ftre Wiederhohlung bey wirklichen Men-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;ich in die Ge&#x017F;talt pra&#x0364;gen, und nach und<lb/>
nach Charakter bilden; aber mit dem Allgemei-<lb/>
nen wird man bald fertig und es ent&#x017F;teht endlich<lb/>
ein ra&#x017F;endes Einerley.&#x201C;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">A a 4</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Kurz,</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[375/0381] lich zu machen, aus bloßen Geſchichtbuͤchern, wie ſie lebendig waren und handelten; denn in der That — hat es auch keiner noch gethan. Allerley Geſtalten traͤumen mag man ſich wohl, und wer ſich an leerer Spreu ſatt ißt, mag dar- nach gaffen und hinlaufen: aber Wahrheit, phy- ſiognomiſche mit Leib und Leben wie Wirklichkeit, ohne Miene und Gebehrde Punkt fuͤr Punkt von der Natur ſelbſt abzukonterfeyen, dieſe aus blo- ßen Erzaͤhlungen und ſelbſt eignen Reden der Menſchen zu erfinden; geht uͤber des Menſchen Kraͤfte; dazu haben wir noch keine Wiſſenſchaft, keine Gruͤnde und Regeln, weder Ja noch Nein. Unſer beſtes ſind noch die allgemeinen Zuͤge der Leidenſchaften und andern Empfindungen, die ſich in Bewegungen beſonders von außen zeigen, durch oͤftre Wiederhohlung bey wirklichen Men- ſchen ſich in die Geſtalt praͤgen, und nach und nach Charakter bilden; aber mit dem Allgemei- nen wird man bald fertig und es entſteht endlich ein raſendes Einerley.“ „Kurz, A a 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/381
Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/381>, abgerufen am 22.11.2024.