stand, so wie jene für den Sinn, gehört. Wo sie aber in der Zeit folgt, wie bey Tanz und Melodie und Gedicht, ist sie hauptsächlich für die Seele, eigentliche Seelenschönheit, tiefe, leben- dige; denn die Seele hat die Kraft, eine Folge sich wie ein Beysammen auf einmal vorzustellen und zu denken. Daraus die Regel: daß ein sol- ches Ganzes nicht zu verwickelt seyn müsse, da- mit man wie in einem Athem alle dessen Theile und ihre Verbindung im Geist übersehe. Dieß er- regt dann, was man Begeistrung nennt. Ein schönes Gedicht, eine schöne Musik, ein schöner Tanz muß diese allezeit auf die letzt hervorbrin- gen: so wie der Dichter, Tonkünstler, Tänzer sie vorher in der Seele haben muß, ehe er sie in einen Strom dahin wallt; eine volle Seele, die sich ausschüttet, und eine andre wieder schwän- gert."
"Alle bloß bildende Kunst macht auch den stärksten Liebhaber und Besitzer über kurz oder
lang
ſtand, ſo wie jene fuͤr den Sinn, gehoͤrt. Wo ſie aber in der Zeit folgt, wie bey Tanz und Melodie und Gedicht, iſt ſie hauptſaͤchlich fuͤr die Seele, eigentliche Seelenſchoͤnheit, tiefe, leben- dige; denn die Seele hat die Kraft, eine Folge ſich wie ein Beyſammen auf einmal vorzuſtellen und zu denken. Daraus die Regel: daß ein ſol- ches Ganzes nicht zu verwickelt ſeyn muͤſſe, da- mit man wie in einem Athem alle deſſen Theile und ihre Verbindung im Geiſt uͤberſehe. Dieß er- regt dann, was man Begeiſtrung nennt. Ein ſchoͤnes Gedicht, eine ſchoͤne Muſik, ein ſchoͤner Tanz muß dieſe allezeit auf die letzt hervorbrin- gen: ſo wie der Dichter, Tonkuͤnſtler, Taͤnzer ſie vorher in der Seele haben muß, ehe er ſie in einen Strom dahin wallt; eine volle Seele, die ſich ausſchuͤttet, und eine andre wieder ſchwaͤn- gert.“
„Alle bloß bildende Kunſt macht auch den ſtaͤrkſten Liebhaber und Beſitzer uͤber kurz oder
lang
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ſtand, ſo wie jene fuͤr den Sinn, gehoͤrt. Wo
ſie aber in der Zeit folgt, wie bey Tanz und
Melodie und Gedicht, iſt ſie hauptſaͤchlich fuͤr die
Seele, eigentliche Seelenſchoͤnheit, tiefe, leben-
dige; denn die Seele hat die Kraft, eine Folge
ſich wie ein Beyſammen auf einmal vorzuſtellen
und zu denken. Daraus die Regel: daß ein ſol-
ches Ganzes nicht zu verwickelt ſeyn muͤſſe, da-
mit man wie in einem Athem alle deſſen Theile
und ihre Verbindung im Geiſt uͤberſehe. Dieß er-
regt dann, was man Begeiſtrung nennt. Ein
ſchoͤnes Gedicht, eine ſchoͤne Muſik, ein ſchoͤner
Tanz muß dieſe allezeit auf die letzt hervorbrin-
gen: ſo wie der Dichter, Tonkuͤnſtler, Taͤnzer
ſie vorher in der Seele haben muß, ehe er ſie in
einen Strom dahin wallt; eine volle Seele, die
ſich ausſchuͤttet, und eine andre wieder ſchwaͤn-
gert.“
„Alle bloß bildende Kunſt macht auch den
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/384>, abgerufen am 22.11.2024.
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