Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Poesie und ihrer Gewalt über die Herzen! Ue-
berhaupt ist die bildende Kunst eine jugendliche
Sache, wo der Mensch noch an der Hülle her-
umschwebt. Ein alter Mahler, ein armer Sün-
der! Wenn einer innen ist, kann er nicht mehr
außen seyn. Es käme darauf an, ob Raphael nicht
den Pinsel würde weggeworfen haben, wenn er äl-
ter geworden wäre! wenigstens sind seine ersten
Gemählde im Vatikan die besten, und er trachtete
nicht umsonst nach dem Kardinalshut."

Sein Mund glich einem vollen Spring-
brunnen, so goß er hervor. Mir riß endlich die
Geduld, und ich ergrimmte. "Bist du noch
nicht fertig, Barbar, Bilderstürmer? zürnt
ich ihm entgegen."

"Was du wahr gesagt hast, trift alle mensch-
liche Kunst. In der Natur haben wir freylich
alles beysammen, und die verschiednen Künste
theilen sich nur in sie. Jede muß dagegen ihre
Mängel, ihre Schranken erkennen. Die Mah-

le-

Poeſie und ihrer Gewalt uͤber die Herzen! Ue-
berhaupt iſt die bildende Kunſt eine jugendliche
Sache, wo der Menſch noch an der Huͤlle her-
umſchwebt. Ein alter Mahler, ein armer Suͤn-
der! Wenn einer innen iſt, kann er nicht mehr
außen ſeyn. Es kaͤme darauf an, ob Raphael nicht
den Pinſel wuͤrde weggeworfen haben, wenn er aͤl-
ter geworden waͤre! wenigſtens ſind ſeine erſten
Gemaͤhlde im Vatikan die beſten, und er trachtete
nicht umſonſt nach dem Kardinalshut.“

Sein Mund glich einem vollen Spring-
brunnen, ſo goß er hervor. Mir riß endlich die
Geduld, und ich ergrimmte. „Biſt du noch
nicht fertig, Barbar, Bilderſtuͤrmer? zuͤrnt
ich ihm entgegen.“

„Was du wahr geſagt haſt, trift alle menſch-
liche Kunſt. In der Natur haben wir freylich
alles beyſammen, und die verſchiednen Kuͤnſte
theilen ſich nur in ſie. Jede muß dagegen ihre
Maͤngel, ihre Schranken erkennen. Die Mah-

le-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0387" n="381"/>
Poe&#x017F;ie und ihrer Gewalt u&#x0364;ber die Herzen! Ue-<lb/>
berhaupt i&#x017F;t die bildende Kun&#x017F;t eine jugendliche<lb/>
Sache, wo der Men&#x017F;ch noch an der Hu&#x0364;lle her-<lb/>
um&#x017F;chwebt. Ein alter Mahler, ein armer Su&#x0364;n-<lb/>
der! Wenn einer innen i&#x017F;t, kann er nicht mehr<lb/>
außen &#x017F;eyn. Es ka&#x0364;me darauf an, ob Raphael nicht<lb/>
den Pin&#x017F;el wu&#x0364;rde weggeworfen haben, wenn er a&#x0364;l-<lb/>
ter geworden wa&#x0364;re! wenig&#x017F;tens &#x017F;ind &#x017F;eine er&#x017F;ten<lb/>
Gema&#x0364;hlde im Vatikan die be&#x017F;ten, und er trachtete<lb/>
nicht um&#x017F;on&#x017F;t nach dem Kardinalshut.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sein Mund glich einem vollen Spring-<lb/>
brunnen, &#x017F;o goß er hervor. Mir riß endlich die<lb/>
Geduld, und ich ergrimmte. &#x201E;Bi&#x017F;t du noch<lb/>
nicht fertig, Barbar, Bilder&#x017F;tu&#x0364;rmer? zu&#x0364;rnt<lb/>
ich ihm entgegen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was du wahr ge&#x017F;agt ha&#x017F;t, trift alle men&#x017F;ch-<lb/>
liche Kun&#x017F;t. In der Natur haben wir freylich<lb/>
alles bey&#x017F;ammen, und die ver&#x017F;chiednen Ku&#x0364;n&#x017F;te<lb/>
theilen &#x017F;ich nur in &#x017F;ie. Jede muß dagegen ihre<lb/>
Ma&#x0364;ngel, ihre Schranken erkennen. Die Mah-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">le-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[381/0387] Poeſie und ihrer Gewalt uͤber die Herzen! Ue- berhaupt iſt die bildende Kunſt eine jugendliche Sache, wo der Menſch noch an der Huͤlle her- umſchwebt. Ein alter Mahler, ein armer Suͤn- der! Wenn einer innen iſt, kann er nicht mehr außen ſeyn. Es kaͤme darauf an, ob Raphael nicht den Pinſel wuͤrde weggeworfen haben, wenn er aͤl- ter geworden waͤre! wenigſtens ſind ſeine erſten Gemaͤhlde im Vatikan die beſten, und er trachtete nicht umſonſt nach dem Kardinalshut.“ Sein Mund glich einem vollen Spring- brunnen, ſo goß er hervor. Mir riß endlich die Geduld, und ich ergrimmte. „Biſt du noch nicht fertig, Barbar, Bilderſtuͤrmer? zuͤrnt ich ihm entgegen.“ „Was du wahr geſagt haſt, trift alle menſch- liche Kunſt. In der Natur haben wir freylich alles beyſammen, und die verſchiednen Kuͤnſte theilen ſich nur in ſie. Jede muß dagegen ihre Maͤngel, ihre Schranken erkennen. Die Mah- le-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/387
Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/387>, abgerufen am 15.06.2024.