Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

"Unsre Kirchen hingegen sind große Ver-
sammlungsplätze, wo oft die Einwohner einer
ganzen Stadt Stunden lang sich aufhalten
sollen. Ein feyerlicher gothischer Dom mit seinem
freyen ungeheuren Raume, von vernünftigen
Barbaren entworfen, wo die Stimme des Prie-
sters Donner wird, und der Choral des Volks
ein Meersturm, der den Vater des Weltals
preist und den kühnsten Ungläubigen erschüttert,
indeß der Tyrann der Musik, die Orgel, wie
ein Orkan darein rast und tiefe Fluhten wälzt:
wird immer das kleinliche Gemächt im Großen,
seys nach dem niedlichsten Venustempel von dem
geschmackvollsten Athenienser! bey einem Manne
von unverfälschtem Sinn zu Schanden machen."

Wir hätten dafür, däucht mich, eher ihre
Theater zum Muster nehmen sollen, die natür-
lichste Form für eine große Menge, worin jede
Person ihren Posten wie in einer Republik, einer
Demokratie einzunehmen scheint, und ein herrli-

ches

„Unſre Kirchen hingegen ſind große Ver-
ſammlungsplaͤtze, wo oft die Einwohner einer
ganzen Stadt Stunden lang ſich aufhalten
ſollen. Ein feyerlicher gothiſcher Dom mit ſeinem
freyen ungeheuren Raume, von vernuͤnftigen
Barbaren entworfen, wo die Stimme des Prie-
ſters Donner wird, und der Choral des Volks
ein Meerſturm, der den Vater des Weltals
preiſt und den kuͤhnſten Unglaͤubigen erſchuͤttert,
indeß der Tyrann der Muſik, die Orgel, wie
ein Orkan darein raſt und tiefe Fluhten waͤlzt:
wird immer das kleinliche Gemaͤcht im Großen,
ſeys nach dem niedlichſten Venustempel von dem
geſchmackvollſten Athenienſer! bey einem Manne
von unverfaͤlſchtem Sinn zu Schanden machen.“

Wir haͤtten dafuͤr, daͤucht mich, eher ihre
Theater zum Muſter nehmen ſollen, die natuͤr-
lichſte Form fuͤr eine große Menge, worin jede
Perſon ihren Poſten wie in einer Republik, einer
Demokratie einzunehmen ſcheint, und ein herrli-

ches
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0062" n="56"/>
        <p>&#x201E;Un&#x017F;re Kirchen hingegen &#x017F;ind große Ver-<lb/>
&#x017F;ammlungspla&#x0364;tze, wo oft die Einwohner einer<lb/>
ganzen Stadt Stunden lang &#x017F;ich aufhalten<lb/>
&#x017F;ollen. Ein feyerlicher gothi&#x017F;cher Dom mit &#x017F;einem<lb/>
freyen ungeheuren Raume, von vernu&#x0364;nftigen<lb/>
Barbaren entworfen, wo die Stimme des Prie-<lb/>
&#x017F;ters Donner wird, und der Choral des Volks<lb/>
ein Meer&#x017F;turm, der den Vater des Weltals<lb/>
prei&#x017F;t und den ku&#x0364;hn&#x017F;ten Ungla&#x0364;ubigen er&#x017F;chu&#x0364;ttert,<lb/>
indeß der Tyrann der Mu&#x017F;ik, die Orgel, wie<lb/>
ein Orkan darein ra&#x017F;t und tiefe Fluhten wa&#x0364;lzt:<lb/>
wird immer das kleinliche Gema&#x0364;cht im Großen,<lb/>
&#x017F;eys nach dem niedlich&#x017F;ten Venustempel von dem<lb/>
ge&#x017F;chmackvoll&#x017F;ten Athenien&#x017F;er! bey einem Manne<lb/>
von unverfa&#x0364;l&#x017F;chtem Sinn zu Schanden machen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wir ha&#x0364;tten dafu&#x0364;r, da&#x0364;ucht mich, eher ihre<lb/>
Theater zum Mu&#x017F;ter nehmen &#x017F;ollen, die natu&#x0364;r-<lb/>
lich&#x017F;te Form fu&#x0364;r eine große Menge, worin jede<lb/>
Per&#x017F;on ihren Po&#x017F;ten wie in einer Republik, einer<lb/>
Demokratie einzunehmen &#x017F;cheint, und ein herrli-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ches</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0062] „Unſre Kirchen hingegen ſind große Ver- ſammlungsplaͤtze, wo oft die Einwohner einer ganzen Stadt Stunden lang ſich aufhalten ſollen. Ein feyerlicher gothiſcher Dom mit ſeinem freyen ungeheuren Raume, von vernuͤnftigen Barbaren entworfen, wo die Stimme des Prie- ſters Donner wird, und der Choral des Volks ein Meerſturm, der den Vater des Weltals preiſt und den kuͤhnſten Unglaͤubigen erſchuͤttert, indeß der Tyrann der Muſik, die Orgel, wie ein Orkan darein raſt und tiefe Fluhten waͤlzt: wird immer das kleinliche Gemaͤcht im Großen, ſeys nach dem niedlichſten Venustempel von dem geſchmackvollſten Athenienſer! bey einem Manne von unverfaͤlſchtem Sinn zu Schanden machen.“ Wir haͤtten dafuͤr, daͤucht mich, eher ihre Theater zum Muſter nehmen ſollen, die natuͤr- lichſte Form fuͤr eine große Menge, worin jede Perſon ihren Poſten wie in einer Republik, einer Demokratie einzunehmen ſcheint, und ein herrli- ches

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/62
Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/62>, abgerufen am 21.11.2024.