Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Schiffs nie erregen wird, der eher einen Sarg
als einen Bogen vom freyen schönen gestirnten
Himmel Gottes nachahmt; weßwegen die Leute
sich verwundern, daß sie nicht erstaunen.

Die Römer liebkosten den Sinn des Ge-
fühls mit Baden, wie wir ohngefehr unsre Na-
sen mit Düften, und unsre Zungen mit Brühen
und Weinen. Sie fingen vom heißen an, und
gingen alsdenn alle Grade der Wärme durch
theils im Wasser, theils in lauer Luft bis zum
kalten: Wollust, die alle verschiedne Wärme der
Existenz nachahmt, vom heißesten Herzensge-
tümmel der hohen Leidenschaften bis zur frischen
Besonnenheit; alle Grade des physischen Ge-
fühls, ohne das Seelenleben, das Geistige:
welches sie sich doch in gewisser Rücksicht auch
vorphantasieren konnten, indem ihre weiblichen
Schönheiten sich unter den Kaisern, wenigstens
zuverlässig vom Domizian an, öffentlich nackend
mit den Männern badeten. Sie ahndeten et-

was

Schiffs nie erregen wird, der eher einen Sarg
als einen Bogen vom freyen ſchoͤnen geſtirnten
Himmel Gottes nachahmt; weßwegen die Leute
ſich verwundern, daß ſie nicht erſtaunen.

Die Roͤmer liebkoſten den Sinn des Ge-
fuͤhls mit Baden, wie wir ohngefehr unſre Na-
ſen mit Duͤften, und unſre Zungen mit Bruͤhen
und Weinen. Sie fingen vom heißen an, und
gingen alsdenn alle Grade der Waͤrme durch
theils im Waſſer, theils in lauer Luft bis zum
kalten: Wolluſt, die alle verſchiedne Waͤrme der
Exiſtenz nachahmt, vom heißeſten Herzensge-
tuͤmmel der hohen Leidenſchaften bis zur friſchen
Beſonnenheit; alle Grade des phyſiſchen Ge-
fuͤhls, ohne das Seelenleben, das Geiſtige:
welches ſie ſich doch in gewiſſer Ruͤckſicht auch
vorphantaſieren konnten, indem ihre weiblichen
Schoͤnheiten ſich unter den Kaiſern, wenigſtens
zuverlaͤſſig vom Domizian an, oͤffentlich nackend
mit den Maͤnnern badeten. Sie ahndeten et-

was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0132" n="124"/>
Schiffs nie erregen wird, der eher einen Sarg<lb/>
als einen Bogen vom freyen &#x017F;cho&#x0364;nen ge&#x017F;tirnten<lb/>
Himmel Gottes nachahmt; weßwegen die Leute<lb/>
&#x017F;ich verwundern, daß &#x017F;ie nicht er&#x017F;taunen.</p><lb/>
          <p>Die Ro&#x0364;mer liebko&#x017F;ten den Sinn des Ge-<lb/>
fu&#x0364;hls mit Baden, wie wir ohngefehr un&#x017F;re Na-<lb/>
&#x017F;en mit Du&#x0364;ften, und un&#x017F;re Zungen mit Bru&#x0364;hen<lb/>
und Weinen. Sie fingen vom heißen an, und<lb/>
gingen alsdenn alle Grade der Wa&#x0364;rme durch<lb/>
theils im Wa&#x017F;&#x017F;er, theils in lauer Luft bis zum<lb/>
kalten: Wollu&#x017F;t, die alle ver&#x017F;chiedne Wa&#x0364;rme der<lb/>
Exi&#x017F;tenz nachahmt, vom heiße&#x017F;ten Herzensge-<lb/>
tu&#x0364;mmel der hohen Leiden&#x017F;chaften bis zur fri&#x017F;chen<lb/>
Be&#x017F;onnenheit; alle Grade des phy&#x017F;i&#x017F;chen Ge-<lb/>
fu&#x0364;hls, ohne das Seelenleben, das Gei&#x017F;tige:<lb/>
welches &#x017F;ie &#x017F;ich doch in gewi&#x017F;&#x017F;er Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auch<lb/>
vorphanta&#x017F;ieren konnten, indem ihre weiblichen<lb/>
Scho&#x0364;nheiten &#x017F;ich unter den Kai&#x017F;ern, wenig&#x017F;tens<lb/>
zuverla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig vom Domizian an, o&#x0364;ffentlich nackend<lb/>
mit den Ma&#x0364;nnern badeten. Sie ahndeten et-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">was</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0132] Schiffs nie erregen wird, der eher einen Sarg als einen Bogen vom freyen ſchoͤnen geſtirnten Himmel Gottes nachahmt; weßwegen die Leute ſich verwundern, daß ſie nicht erſtaunen. Die Roͤmer liebkoſten den Sinn des Ge- fuͤhls mit Baden, wie wir ohngefehr unſre Na- ſen mit Duͤften, und unſre Zungen mit Bruͤhen und Weinen. Sie fingen vom heißen an, und gingen alsdenn alle Grade der Waͤrme durch theils im Waſſer, theils in lauer Luft bis zum kalten: Wolluſt, die alle verſchiedne Waͤrme der Exiſtenz nachahmt, vom heißeſten Herzensge- tuͤmmel der hohen Leidenſchaften bis zur friſchen Beſonnenheit; alle Grade des phyſiſchen Ge- fuͤhls, ohne das Seelenleben, das Geiſtige: welches ſie ſich doch in gewiſſer Ruͤckſicht auch vorphantaſieren konnten, indem ihre weiblichen Schoͤnheiten ſich unter den Kaiſern, wenigſtens zuverlaͤſſig vom Domizian an, oͤffentlich nackend mit den Maͤnnern badeten. Sie ahndeten et- was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/132
Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/132>, abgerufen am 21.11.2024.