schen und irre führen ließ. Er erkannte das wahre Talent, und verachtete dagegen allen Mo- dekram. Die berühmtesten Künstler damaliger Zeit hatten schon in den Stanzen die Wände mit allerley Larven bemahlt, woran vielleicht nach ihren Regeln nichts auszusetzen war: als Bra- mante den Raphael von siebzehn Jahren her- beybrachte, daß auch er in einem Zimmer sich versuchen möchte. Die alten Meister lächelten höhnisch, und spotteten unter sich über die Uner- fahrenheit des Knaben. Der hohe Jüngling ließ sich nicht stören, und entwarf in seiner Phantasie, dem Schauplatz angemessen, vier Bilder: von der Theologie, der Philosophie, Poesie und Gerechtigkeit, und legte gleich im ersten Feuer Hand an die Theologie.
Die Philosophie war noch nicht ganz vol- lendet, als Julius von der Wahrheit und dem Reiz der Gemählde so entzückt wurde, daß er auf der Stelle befahl, alles, was die andern
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ſchen und irre fuͤhren ließ. Er erkannte das wahre Talent, und verachtete dagegen allen Mo- dekram. Die beruͤhmteſten Kuͤnſtler damaliger Zeit hatten ſchon in den Stanzen die Waͤnde mit allerley Larven bemahlt, woran vielleicht nach ihren Regeln nichts auszuſetzen war: als Bra- mante den Raphael von ſiebzehn Jahren her- beybrachte, daß auch er in einem Zimmer ſich verſuchen moͤchte. Die alten Meiſter laͤchelten hoͤhniſch, und ſpotteten unter ſich uͤber die Uner- fahrenheit des Knaben. Der hohe Juͤngling ließ ſich nicht ſtoͤren, und entwarf in ſeiner Phantaſie, dem Schauplatz angemeſſen, vier Bilder: von der Theologie, der Philoſophie, Poeſie und Gerechtigkeit, und legte gleich im erſten Feuer Hand an die Theologie.
Die Philoſophie war noch nicht ganz vol- lendet, als Julius von der Wahrheit und dem Reiz der Gemaͤhlde ſo entzuͤckt wurde, daß er auf der Stelle befahl, alles, was die andern
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ſchen und irre fuͤhren ließ. Er erkannte das
wahre Talent, und verachtete dagegen allen Mo-
dekram. Die beruͤhmteſten Kuͤnſtler damaliger
Zeit hatten ſchon in den Stanzen die Waͤnde mit
allerley Larven bemahlt, woran vielleicht nach
ihren Regeln nichts auszuſetzen war: als Bra-
mante den Raphael von ſiebzehn Jahren her-
beybrachte, daß auch er in einem Zimmer ſich
verſuchen moͤchte. Die alten Meiſter laͤchelten
hoͤhniſch, und ſpotteten unter ſich uͤber die Uner-
fahrenheit des Knaben. Der hohe Juͤngling
ließ ſich nicht ſtoͤren, und entwarf in ſeiner
Phantaſie, dem Schauplatz angemeſſen, vier
Bilder: von der Theologie, der Philoſophie,
Poeſie und Gerechtigkeit, und legte gleich im
erſten Feuer Hand an die Theologie.
Die Philoſophie war noch nicht ganz vol-
lendet, als Julius von der Wahrheit und dem
Reiz der Gemaͤhlde ſo entzuͤckt wurde, daß er
auf der Stelle befahl, alles, was die andern
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/15>, abgerufen am 21.11.2024.
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