Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite
I.
Von den verschiedenen Weisen, wie die ge-
meine Kenntniss der Thatsachen des Bewusst-
seyns gewonnen wird.
§. 1.

Die Thatsachen des Bewusstseyns (unter welchen
die psychologischen Principien sich befinden müssen) wer-
den entweder unwillkührlich gefunden, oder sie werden
absichtlich gesucht. Man könnte hinzufügen, entweder
durch Beobachtung unserer selbst, oder Anderer: allein
es ist bekannt, dass die Aeusserungen Anderer nur mit
Hülfe der Selbstbeobachtung ihre Auslegung erhalten
können; daher es rathsam seyn wird, zunächst bey der
Selbstbeobachtung stehen zu bleiben.

Die Absicht, unser Inneres wahrzunehmen, kommt
zwar im gemeinen Leben nicht gar häufig vor. Desto
mehr aber wird man durch psychologische Beschäfftigun-
gen dazu veranlasst, und selbst angetrieben, indem man
den Gegenstand, wovon die Rede ist, unmittelbar auffas-
sen möchte. Aus diesem Grunde wird es hier ganz pas-
send seyn, von der absichtlichen Betrachtung der That-
sachen des Bewusstseyns anzufangen.

§. 2.

Den Versuch, in sein Inneres zu blicken, kann man
jeden Augenblick anstellen. Immer wird sich etwas fin-
den, woran gerade jetzt gedacht wurde; immer auch ein
körperliches Gefühl sich entdecken lassen, wäre es auch
nur das, welches mit dem Stehen, Sitzen, Liegen, über-
haupt mit der nothwendigen Unterstützung des Körpers
verbunden ist. Ferner wird das, woran gedacht wurde,
nicht einfach seyn; auf seiner Mannigfaltigkeit wird die
Selbstbetrachtung umherlaufen, und es einigermaassen ver-
deutlichen. Aber nicht nur das Hervorgehobene wird als-
bald wieder schwinden; sondern alles, was die innere

I.
Von den verschiedenen Weisen, wie die ge-
meine Kenntniſs der Thatsachen des Bewuſst-
seyns gewonnen wird.
§. 1.

Die Thatsachen des Bewuſstseyns (unter welchen
die psychologischen Principien sich befinden müssen) wer-
den entweder unwillkührlich gefunden, oder sie werden
absichtlich gesucht. Man könnte hinzufügen, entweder
durch Beobachtung unserer selbst, oder Anderer: allein
es ist bekannt, daſs die Aeuſserungen Anderer nur mit
Hülfe der Selbstbeobachtung ihre Auslegung erhalten
können; daher es rathsam seyn wird, zunächst bey der
Selbstbeobachtung stehen zu bleiben.

Die Absicht, unser Inneres wahrzunehmen, kommt
zwar im gemeinen Leben nicht gar häufig vor. Desto
mehr aber wird man durch psychologische Beschäfftigun-
gen dazu veranlaſst, und selbst angetrieben, indem man
den Gegenstand, wovon die Rede ist, unmittelbar auffas-
sen möchte. Aus diesem Grunde wird es hier ganz pas-
send seyn, von der absichtlichen Betrachtung der That-
sachen des Bewuſstseyns anzufangen.

§. 2.

Den Versuch, in sein Inneres zu blicken, kann man
jeden Augenblick anstellen. Immer wird sich etwas fin-
den, woran gerade jetzt gedacht wurde; immer auch ein
körperliches Gefühl sich entdecken lassen, wäre es auch
nur das, welches mit dem Stehen, Sitzen, Liegen, über-
haupt mit der nothwendigen Unterstützung des Körpers
verbunden ist. Ferner wird das, woran gedacht wurde,
nicht einfach seyn; auf seiner Mannigfaltigkeit wird die
Selbstbetrachtung umherlaufen, und es einigermaaſsen ver-
deutlichen. Aber nicht nur das Hervorgehobene wird als-
bald wieder schwinden; sondern alles, was die innere

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0030" n="10"/>
        <div n="2">
          <head>I.<lb/>
Von den verschiedenen Weisen, wie die ge-<lb/>
meine Kenntni&#x017F;s der Thatsachen des Bewu&#x017F;st-<lb/>
seyns gewonnen wird.</head><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 1.</head><lb/>
            <p>Die Thatsachen des Bewu&#x017F;stseyns (unter welchen<lb/>
die psychologischen Principien sich befinden müssen) wer-<lb/>
den entweder unwillkührlich gefunden, oder sie werden<lb/>
absichtlich gesucht. Man könnte hinzufügen, entweder<lb/>
durch Beobachtung unserer selbst, oder Anderer: allein<lb/>
es ist bekannt, da&#x017F;s die Aeu&#x017F;serungen Anderer nur mit<lb/>
Hülfe der Selbstbeobachtung ihre Auslegung erhalten<lb/>
können; daher es rathsam seyn wird, zunächst bey der<lb/>
Selbstbeobachtung stehen zu bleiben.</p><lb/>
            <p>Die Absicht, unser Inneres wahrzunehmen, kommt<lb/>
zwar im gemeinen Leben nicht gar häufig vor. Desto<lb/>
mehr aber wird man durch psychologische Beschäfftigun-<lb/>
gen dazu veranla&#x017F;st, und selbst angetrieben, indem man<lb/>
den Gegenstand, wovon die Rede ist, unmittelbar auffas-<lb/>
sen möchte. Aus diesem Grunde wird es <hi rendition="#g">hier</hi> ganz pas-<lb/>
send seyn, von der absichtlichen Betrachtung der That-<lb/>
sachen des Bewu&#x017F;stseyns anzufangen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 2.</head><lb/>
            <p>Den Versuch, in sein Inneres zu blicken, kann man<lb/>
jeden Augenblick anstellen. Immer wird sich etwas fin-<lb/>
den, woran gerade jetzt gedacht wurde; immer auch ein<lb/>
körperliches Gefühl sich entdecken lassen, wäre es auch<lb/>
nur das, welches mit dem Stehen, Sitzen, Liegen, über-<lb/>
haupt mit der nothwendigen Unterstützung des Körpers<lb/>
verbunden ist. Ferner wird das, woran gedacht wurde,<lb/>
nicht einfach seyn; auf seiner Mannigfaltigkeit wird die<lb/>
Selbstbetrachtung umherlaufen, und es einigermaa&#x017F;sen ver-<lb/>
deutlichen. Aber nicht nur das Hervorgehobene wird als-<lb/>
bald wieder schwinden; sondern alles, was die innere<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0030] I. Von den verschiedenen Weisen, wie die ge- meine Kenntniſs der Thatsachen des Bewuſst- seyns gewonnen wird. §. 1. Die Thatsachen des Bewuſstseyns (unter welchen die psychologischen Principien sich befinden müssen) wer- den entweder unwillkührlich gefunden, oder sie werden absichtlich gesucht. Man könnte hinzufügen, entweder durch Beobachtung unserer selbst, oder Anderer: allein es ist bekannt, daſs die Aeuſserungen Anderer nur mit Hülfe der Selbstbeobachtung ihre Auslegung erhalten können; daher es rathsam seyn wird, zunächst bey der Selbstbeobachtung stehen zu bleiben. Die Absicht, unser Inneres wahrzunehmen, kommt zwar im gemeinen Leben nicht gar häufig vor. Desto mehr aber wird man durch psychologische Beschäfftigun- gen dazu veranlaſst, und selbst angetrieben, indem man den Gegenstand, wovon die Rede ist, unmittelbar auffas- sen möchte. Aus diesem Grunde wird es hier ganz pas- send seyn, von der absichtlichen Betrachtung der That- sachen des Bewuſstseyns anzufangen. §. 2. Den Versuch, in sein Inneres zu blicken, kann man jeden Augenblick anstellen. Immer wird sich etwas fin- den, woran gerade jetzt gedacht wurde; immer auch ein körperliches Gefühl sich entdecken lassen, wäre es auch nur das, welches mit dem Stehen, Sitzen, Liegen, über- haupt mit der nothwendigen Unterstützung des Körpers verbunden ist. Ferner wird das, woran gedacht wurde, nicht einfach seyn; auf seiner Mannigfaltigkeit wird die Selbstbetrachtung umherlaufen, und es einigermaaſsen ver- deutlichen. Aber nicht nur das Hervorgehobene wird als- bald wieder schwinden; sondern alles, was die innere

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/30
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/30>, abgerufen am 09.11.2024.