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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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gestalt verwirrt, dass ihre Glieder näher verschmelzen als
es ihre Anordnung mit sich bringt, so ist die Reihe ver-
dorben
; weil sie jetzt verschiedenen in ihr entstandenen
Reproductionsgesetzen, die unter einander unverträglich
sind, zugleich Genüge zu leisten strebt. (Hieher gehö-
ren falsche Gewöhnungen in Allem, was durch Wieder-
hohlung und Uebung gelernt werden soll.)

Weit besser als lange Reihen, sind Reihen von
Reihen
, oder auch Reihen aus Reihen von Rei-
hen
u. s. f., dergleichen vielfältig und in sehr bunten
Zusammensetzungen beym geordneten Denken vor-
kommen. (Auch gehört aller Rhythmus hieher; denn
er beruht auf Hauptreihen mit weit entfernten Glie-
dern, deren jedes eine kurze, untergeordnete Reihe
zwischen einschaltet.) Die Glieder solcher Reihen kön-
nen selbst verwickelte Complexionen seyn.

Ganz vorzüglich wird die Verwebung mehrerer Rei-
hen zu weitern Untersuchungen Stoff geben.

Es ist das Wesentliche der Verwebung, dass in Ei-
nem Puncte mehrere Reihen sich kreuzen; oder auch,
dass man von demselben Puncte anfangend, mehrere Rei-
hen zugleich durchlaufe; dieses Zugleich aber bedeu-
tet, dass diese Reihen nicht etwan successive Glieder
einer höhern Reihe seyen, sondern wenn sie ja als ein
Früheres oder Späteres gedacht würden, die Succession
unter ihnen sich auch umkehren liesse.

Gegen die psychologische Möglichkeit solcher Ver-
webung lassen sich Zweifel erheben. Mag a der gemein-
same Anfang zweyer Reihen seyn, die durch b, c, d,
und durch b, g, d, fortlaufen: so scheint es, die Reihen
könnten nicht zwey geschiedene bleiben, sondern es
müssten Complexionen bb, cg, dd entstehn, indem der
Rest r von a sowohl b als b, der Rest r' von a sowohl
c als g, der Rest r" von a sowohl d als d durch einen
untheilbaren Act der Reproduction hervorrufe.

Wir wollen uns nun hier nicht auf die Thatsache
berufen, dass zwey Radien eines Kreises, indem sie durch

gestalt verwirrt, daſs ihre Glieder näher verschmelzen als
es ihre Anordnung mit sich bringt, so ist die Reihe ver-
dorben
; weil sie jetzt verschiedenen in ihr entstandenen
Reproductionsgesetzen, die unter einander unverträglich
sind, zugleich Genüge zu leisten strebt. (Hieher gehö-
ren falsche Gewöhnungen in Allem, was durch Wieder-
hohlung und Uebung gelernt werden soll.)

Weit besser als lange Reihen, sind Reihen von
Reihen
, oder auch Reihen aus Reihen von Rei-
hen
u. s. f., dergleichen vielfältig und in sehr bunten
Zusammensetzungen beym geordneten Denken vor-
kommen. (Auch gehört aller Rhythmus hieher; denn
er beruht auf Hauptreihen mit weit entfernten Glie-
dern, deren jedes eine kurze, untergeordnete Reihe
zwischen einschaltet.) Die Glieder solcher Reihen kön-
nen selbst verwickelte Complexionen seyn.

Ganz vorzüglich wird die Verwebung mehrerer Rei-
hen zu weitern Untersuchungen Stoff geben.

Es ist das Wesentliche der Verwebung, daſs in Ei-
nem Puncte mehrere Reihen sich kreuzen; oder auch,
daſs man von demselben Puncte anfangend, mehrere Rei-
hen zugleich durchlaufe; dieses Zugleich aber bedeu-
tet, daſs diese Reihen nicht etwan successive Glieder
einer höhern Reihe seyen, sondern wenn sie ja als ein
Früheres oder Späteres gedacht würden, die Succession
unter ihnen sich auch umkehren lieſse.

Gegen die psychologische Möglichkeit solcher Ver-
webung lassen sich Zweifel erheben. Mag a der gemein-
same Anfang zweyer Reihen seyn, die durch b, c, d,
und durch β, γ, δ, fortlaufen: so scheint es, die Reihen
könnten nicht zwey geschiedene bleiben, sondern es
müſsten Complexionen bβ, cγ, dδ entstehn, indem der
Rest r von a sowohl b als β, der Rest r' von a sowohl
c als γ, der Rest r″ von a sowohl d als δ durch einen
untheilbaren Act der Reproduction hervorrufe.

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[358/0378] gestalt verwirrt, daſs ihre Glieder näher verschmelzen als es ihre Anordnung mit sich bringt, so ist die Reihe ver- dorben; weil sie jetzt verschiedenen in ihr entstandenen Reproductionsgesetzen, die unter einander unverträglich sind, zugleich Genüge zu leisten strebt. (Hieher gehö- ren falsche Gewöhnungen in Allem, was durch Wieder- hohlung und Uebung gelernt werden soll.) Weit besser als lange Reihen, sind Reihen von Reihen, oder auch Reihen aus Reihen von Rei- hen u. s. f., dergleichen vielfältig und in sehr bunten Zusammensetzungen beym geordneten Denken vor- kommen. (Auch gehört aller Rhythmus hieher; denn er beruht auf Hauptreihen mit weit entfernten Glie- dern, deren jedes eine kurze, untergeordnete Reihe zwischen einschaltet.) Die Glieder solcher Reihen kön- nen selbst verwickelte Complexionen seyn. Ganz vorzüglich wird die Verwebung mehrerer Rei- hen zu weitern Untersuchungen Stoff geben. Es ist das Wesentliche der Verwebung, daſs in Ei- nem Puncte mehrere Reihen sich kreuzen; oder auch, daſs man von demselben Puncte anfangend, mehrere Rei- hen zugleich durchlaufe; dieses Zugleich aber bedeu- tet, daſs diese Reihen nicht etwan successive Glieder einer höhern Reihe seyen, sondern wenn sie ja als ein Früheres oder Späteres gedacht würden, die Succession unter ihnen sich auch umkehren lieſse. Gegen die psychologische Möglichkeit solcher Ver- webung lassen sich Zweifel erheben. Mag a der gemein- same Anfang zweyer Reihen seyn, die durch b, c, d, und durch β, γ, δ, fortlaufen: so scheint es, die Reihen könnten nicht zwey geschiedene bleiben, sondern es müſsten Complexionen bβ, cγ, dδ entstehn, indem der Rest r von a sowohl b als β, der Rest r' von a sowohl c als γ, der Rest r″ von a sowohl d als δ durch einen untheilbaren Act der Reproduction hervorrufe. Wir wollen uns nun hier nicht auf die Thatsache berufen, daſs zwey Radien eines Kreises, indem sie durch

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/378>, abgerufen am 22.11.2024.