den vorhandenen menschlichen Verhältnissen, unwillkühr- lich bilden.
Hier kommen uns nun zuerst die Unterschiede des Thätigen und Leidenden entgegen. Viele Complexionen wahrgenommener Merkmale, -- oder, in unserer gewöhn- lichen Sprache, viele Dinge, -- zeigen sich und ihre Veränderungen in der Regel nur als Endpuncte von Reihen, die von andern Dingen ausgehn; oder doch nur in so fern als Anfangs-Puncte, wie fern sie zuvor End- puncte früherer Reihen waren. Weit seltener sind die andern Dinge, von denen eben so oft Reihen ausgehn, als bey ihnen anlangen. Jene erstern nun werden als Stoff, als Materie, die mit sich machen lässt, bezeichnet; diese letztern, so fern sie von vielen verschie- denen Reihen die möglichen Anfangspuncte sind, denkt man als thätig, als Quelle und Ursprung von Ereig- nissen.
Man unterscheide hier sorgfältig, was die Worte: Thun und Leiden, eigentlich bedeuten sollten, von dem, was sie in gemeiner Sprache wirklich bedeuten. Jenes ist eine metaphysische Frage, deren Gewicht der gemeine Verstand gar nicht empfindet, und deren Beantwortung nicht hieher gehört; aber die zweyte, psychologische Frage ist schon vollständig beantwortet durch das, was oben von den Vorstellungsreihen gelehrt wurde. Wer sich ein Thun denken will, der versetzt sich in einen Zu- stand, als ob in ihm eine Reihe dergestalt abliefe, dass sie vorzugsweise durch das reproducirende Streben des Anfangsgliedes hervorgehoben würde; um den Verlauf der Reihe bekümmert er sich dabey nicht. Deshalb ist eine Quelle das natürliche Symbol des Thätigen; ob- gleich sich bey näherer Betrachtung finden würde, dass auch hier alles, was das sinnliche Auge wahrnimmt, sich lediglich leidend zeigt, indem ja die Einfassung der Quelle ruhet, und das Wasser bloss hervortritt, um fort- zufliessen, ohne irgend etwas, wenn nicht zufällig, zu er- greifen und abzuändern. Aber unsern eigenen Gemüths-
den vorhandenen menschlichen Verhältnissen, unwillkühr- lich bilden.
Hier kommen uns nun zuerst die Unterschiede des Thätigen und Leidenden entgegen. Viele Complexionen wahrgenommener Merkmale, — oder, in unserer gewöhn- lichen Sprache, viele Dinge, — zeigen sich und ihre Veränderungen in der Regel nur als Endpuncte von Reihen, die von andern Dingen ausgehn; oder doch nur in so fern als Anfangs-Puncte, wie fern sie zuvor End- puncte früherer Reihen waren. Weit seltener sind die andern Dinge, von denen eben so oft Reihen ausgehn, als bey ihnen anlangen. Jene erstern nun werden als Stoff, als Materie, die mit sich machen läſst, bezeichnet; diese letztern, so fern sie von vielen verschie- denen Reihen die möglichen Anfangspuncte sind, denkt man als thätig, als Quelle und Ursprung von Ereig- nissen.
Man unterscheide hier sorgfältig, was die Worte: Thun und Leiden, eigentlich bedeuten sollten, von dem, was sie in gemeiner Sprache wirklich bedeuten. Jenes ist eine metaphysische Frage, deren Gewicht der gemeine Verstand gar nicht empfindet, und deren Beantwortung nicht hieher gehört; aber die zweyte, psychologische Frage ist schon vollständig beantwortet durch das, was oben von den Vorstellungsreihen gelehrt wurde. Wer sich ein Thun denken will, der versetzt sich in einen Zu- stand, als ob in ihm eine Reihe dergestalt abliefe, daſs sie vorzugsweise durch das reproducirende Streben des Anfangsgliedes hervorgehoben würde; um den Verlauf der Reihe bekümmert er sich dabey nicht. Deshalb ist eine Quelle das natürliche Symbol des Thätigen; ob- gleich sich bey näherer Betrachtung finden würde, daſs auch hier alles, was das sinnliche Auge wahrnimmt, sich lediglich leidend zeigt, indem ja die Einfassung der Quelle ruhet, und das Wasser bloſs hervortritt, um fort- zuflieſsen, ohne irgend etwas, wenn nicht zufällig, zu er- greifen und abzuändern. Aber unsern eigenen Gemüths-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0394"n="374"/>
den vorhandenen menschlichen Verhältnissen, unwillkühr-<lb/>
lich bilden.</p><lb/><p>Hier kommen uns nun zuerst die Unterschiede des<lb/>
Thätigen und Leidenden entgegen. Viele Complexionen<lb/>
wahrgenommener Merkmale, — oder, in unserer gewöhn-<lb/>
lichen Sprache, viele <hirendition="#g">Dinge</hi>, — zeigen sich und ihre<lb/>
Veränderungen in der Regel nur als <hirendition="#g">Endpuncte</hi> von<lb/>
Reihen, die von andern Dingen ausgehn; oder doch nur<lb/>
in so fern als <hirendition="#g">Anfangs-Puncte</hi>, wie fern sie zuvor End-<lb/>
puncte früherer Reihen waren. Weit seltener sind die<lb/>
andern Dinge, von denen eben so oft Reihen ausgehn,<lb/>
als bey ihnen anlangen. Jene erstern nun werden als<lb/><hirendition="#g">Stoff</hi>, als <hirendition="#g">Materie, die mit sich machen läſst</hi>,<lb/>
bezeichnet; diese letztern, so fern sie von vielen verschie-<lb/>
denen Reihen die möglichen Anfangspuncte sind, denkt<lb/>
man als <hirendition="#g">thätig</hi>, als Quelle und Ursprung von Ereig-<lb/>
nissen.</p><lb/><p>Man unterscheide hier sorgfältig, was die Worte:<lb/>
Thun und Leiden, eigentlich bedeuten sollten, von dem,<lb/>
was sie in gemeiner Sprache wirklich bedeuten. Jenes<lb/>
ist eine metaphysische Frage, deren Gewicht der gemeine<lb/>
Verstand gar nicht empfindet, und deren Beantwortung<lb/>
nicht hieher gehört; aber die zweyte, psychologische Frage<lb/>
ist schon vollständig beantwortet durch das, was oben<lb/>
von den Vorstellungsreihen gelehrt wurde. Wer sich<lb/>
ein <hirendition="#g">Thun</hi> denken will, der versetzt sich in einen Zu-<lb/>
stand, als ob in ihm eine Reihe dergestalt abliefe, daſs<lb/>
sie vorzugsweise durch das reproducirende Streben des<lb/>
Anfangsgliedes hervorgehoben würde; um den Verlauf<lb/>
der Reihe bekümmert er sich dabey nicht. Deshalb ist<lb/>
eine <hirendition="#g">Quelle</hi> das natürliche Symbol des Thätigen; ob-<lb/>
gleich sich bey näherer Betrachtung finden würde, daſs<lb/>
auch hier alles, was das sinnliche Auge wahrnimmt, sich<lb/>
lediglich leidend zeigt, indem ja die Einfassung der<lb/>
Quelle ruhet, und das Wasser bloſs hervortritt, um fort-<lb/>
zuflieſsen, ohne irgend etwas, wenn nicht zufällig, zu er-<lb/>
greifen und abzuändern. Aber unsern eigenen Gemüths-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[374/0394]
den vorhandenen menschlichen Verhältnissen, unwillkühr-
lich bilden.
Hier kommen uns nun zuerst die Unterschiede des
Thätigen und Leidenden entgegen. Viele Complexionen
wahrgenommener Merkmale, — oder, in unserer gewöhn-
lichen Sprache, viele Dinge, — zeigen sich und ihre
Veränderungen in der Regel nur als Endpuncte von
Reihen, die von andern Dingen ausgehn; oder doch nur
in so fern als Anfangs-Puncte, wie fern sie zuvor End-
puncte früherer Reihen waren. Weit seltener sind die
andern Dinge, von denen eben so oft Reihen ausgehn,
als bey ihnen anlangen. Jene erstern nun werden als
Stoff, als Materie, die mit sich machen läſst,
bezeichnet; diese letztern, so fern sie von vielen verschie-
denen Reihen die möglichen Anfangspuncte sind, denkt
man als thätig, als Quelle und Ursprung von Ereig-
nissen.
Man unterscheide hier sorgfältig, was die Worte:
Thun und Leiden, eigentlich bedeuten sollten, von dem,
was sie in gemeiner Sprache wirklich bedeuten. Jenes
ist eine metaphysische Frage, deren Gewicht der gemeine
Verstand gar nicht empfindet, und deren Beantwortung
nicht hieher gehört; aber die zweyte, psychologische Frage
ist schon vollständig beantwortet durch das, was oben
von den Vorstellungsreihen gelehrt wurde. Wer sich
ein Thun denken will, der versetzt sich in einen Zu-
stand, als ob in ihm eine Reihe dergestalt abliefe, daſs
sie vorzugsweise durch das reproducirende Streben des
Anfangsgliedes hervorgehoben würde; um den Verlauf
der Reihe bekümmert er sich dabey nicht. Deshalb ist
eine Quelle das natürliche Symbol des Thätigen; ob-
gleich sich bey näherer Betrachtung finden würde, daſs
auch hier alles, was das sinnliche Auge wahrnimmt, sich
lediglich leidend zeigt, indem ja die Einfassung der
Quelle ruhet, und das Wasser bloſs hervortritt, um fort-
zuflieſsen, ohne irgend etwas, wenn nicht zufällig, zu er-
greifen und abzuändern. Aber unsern eigenen Gemüths-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/394>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.