schauungen, Einbildungen, Begriffe, Urtheile, Gefühle, Entschliessungen, -- entgegen, welche alle das Gedächt- niss aufbewahrt; aber es ist dessen zuviel; und wiederum in dem abstracten Begriffe eines Gemüthszustandes über- haupt, den das Gedächtniss erneuere, zu wenig unmittel- bare Klarheit, als dass man sich einem solchen Princip gern anvertrauen könnte. Ist schon von andern Seiten her Licht genug vorhanden, dann mag man auch solche Principien gleichsam zu Rechnungsproben benutzen; al- lein für die Haupt-Untersuchung bedarf es eines helle- ren Anfangspunctes; eines Punctes, der nicht zerfliesse, indem man ihn in der Wahrnehmung aufsucht.
Solch ein Punct nun ist ganz vorzüglich das Ich. Dieses lässt sich in einer vollkommnen Abstraction vom Individuellen noch deutlich machen, nämlich als Identität des Objects und Subjects; ohne dass darum das Selbst- bewusstseyn aufhörte, sich für den Begriff zu verbürgen. Nun sind zwar im Selbstbewusstseyn die Bedingungen nur verdunkelt, unter denen er Realität besitzt, und man würde sich sehr täuschen, wenn man ihn darum an gar keine Bedingungen geknüpft glauben wollte. Allein die methodische Speculation, indem sie den Begriff des Ich bearbeitet, findet gar bald seine innere Unzulänglichkeit; und weis't ihm dann ferner seine Ergänzungen mit einer Bestimmtheit und Sicherheit nach, welche die innere Wahr- nehmung nie zu erreichen vermöchte.
Da nun der Begriff des Ich zugleich der allgemeine Begleiter aller Gemüthszustände ist, in so fern wir sie uns selbst zueignen: so vereinigt er im hohen Grade die Ei- genschaften eines bequemen Princips, nämlich Allge- meinheit und Präcision. Und deshalb werden wir von diesem Princip in der Folge vorzüglich Gebrauch machen; ohne jedoch die übrigen ganz zu vernachlässi- gen, und besonders ohne solche Vernachlässigung wohl gar einem künftigen Bearbeiter der ganzen Wissenschaft zu empfehlen.
I. C
schauungen, Einbildungen, Begriffe, Urtheile, Gefühle, Entschlieſsungen, — entgegen, welche alle das Gedächt- niſs aufbewahrt; aber es ist dessen zuviel; und wiederum in dem abstracten Begriffe eines Gemüthszustandes über- haupt, den das Gedächtniſs erneuere, zu wenig unmittel- bare Klarheit, als daſs man sich einem solchen Princip gern anvertrauen könnte. Ist schon von andern Seiten her Licht genug vorhanden, dann mag man auch solche Principien gleichsam zu Rechnungsproben benutzen; al- lein für die Haupt-Untersuchung bedarf es eines helle- ren Anfangspunctes; eines Punctes, der nicht zerflieſse, indem man ihn in der Wahrnehmung aufsucht.
Solch ein Punct nun ist ganz vorzüglich das Ich. Dieses läſst sich in einer vollkommnen Abstraction vom Individuellen noch deutlich machen, nämlich als Identität des Objects und Subjects; ohne daſs darum das Selbst- bewuſstseyn aufhörte, sich für den Begriff zu verbürgen. Nun sind zwar im Selbstbewuſstseyn die Bedingungen nur verdunkelt, unter denen er Realität besitzt, und man würde sich sehr täuschen, wenn man ihn darum an gar keine Bedingungen geknüpft glauben wollte. Allein die methodische Speculation, indem sie den Begriff des Ich bearbeitet, findet gar bald seine innere Unzulänglichkeit; und weis’t ihm dann ferner seine Ergänzungen mit einer Bestimmtheit und Sicherheit nach, welche die innere Wahr- nehmung nie zu erreichen vermöchte.
Da nun der Begriff des Ich zugleich der allgemeine Begleiter aller Gemüthszustände ist, in so fern wir sie uns selbst zueignen: so vereinigt er im hohen Grade die Ei- genschaften eines bequemen Princips, nämlich Allge- meinheit und Präcision. Und deshalb werden wir von diesem Princip in der Folge vorzüglich Gebrauch machen; ohne jedoch die übrigen ganz zu vernachlässi- gen, und besonders ohne solche Vernachlässigung wohl gar einem künftigen Bearbeiter der ganzen Wissenschaft zu empfehlen.
I. C
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schauungen, Einbildungen, Begriffe, Urtheile, Gefühle,
Entschlieſsungen, — entgegen, welche alle das Gedächt-
niſs aufbewahrt; aber es ist dessen zuviel; und wiederum
in dem abstracten Begriffe eines Gemüthszustandes über-
haupt, den das Gedächtniſs erneuere, zu wenig unmittel-
bare Klarheit, als daſs man sich einem solchen Princip
gern anvertrauen könnte. Ist schon von andern Seiten
her Licht genug vorhanden, dann mag man auch solche
Principien gleichsam zu Rechnungsproben benutzen; al-
lein für die Haupt-Untersuchung bedarf es eines helle-
ren Anfangspunctes; eines Punctes, der nicht zerflieſse,
indem man ihn in der Wahrnehmung aufsucht.
Solch ein Punct nun ist ganz vorzüglich das Ich.
Dieses läſst sich in einer vollkommnen Abstraction vom
Individuellen noch deutlich machen, nämlich als Identität
des Objects und Subjects; ohne daſs darum das Selbst-
bewuſstseyn aufhörte, sich für den Begriff zu verbürgen.
Nun sind zwar im Selbstbewuſstseyn die Bedingungen nur
verdunkelt, unter denen er Realität besitzt, und man
würde sich sehr täuschen, wenn man ihn darum an gar
keine Bedingungen geknüpft glauben wollte. Allein die
methodische Speculation, indem sie den Begriff des Ich
bearbeitet, findet gar bald seine innere Unzulänglichkeit;
und weis’t ihm dann ferner seine Ergänzungen mit einer
Bestimmtheit und Sicherheit nach, welche die innere Wahr-
nehmung nie zu erreichen vermöchte.
Da nun der Begriff des Ich zugleich der allgemeine
Begleiter aller Gemüthszustände ist, in so fern wir sie uns
selbst zueignen: so vereinigt er im hohen Grade die Ei-
genschaften eines bequemen Princips, nämlich Allge-
meinheit und Präcision. Und deshalb werden wir
von diesem Princip in der Folge vorzüglich Gebrauch
machen; ohne jedoch die übrigen ganz zu vernachlässi-
gen, und besonders ohne solche Vernachlässigung wohl gar
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/53>, abgerufen am 09.11.2024.
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