Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.dem Unternehmen, in der Psychologie, in der Metaphy- Auf Wolffs Versuch einer Trennung der rationa- *) Wolfii psych. empirica. §. 29. **) Wolfii psych. ration. §. 81. -- Wie es aber eigentlich ge-
meint sey, das erfährt man nicht so wohl wenn man die Psychologen fragt, als wenn man sie ertappt. So lässt sich Wolff ertappen im §. 601. der psych. empir. Zuerst sagt er recht gut: appetitus mu- tatur in aversationem; dann verbessert er sich: appetitus dicitur mu- tari in aversationem, quando loco facultatis appetendi sese exe- rit facultas aversandi! dem Unternehmen, in der Psychologie, in der Metaphy- Auf Wolffs Versuch einer Trennung der rationa- *) Wolfii psych. empirica. §. 29. **) Wolfii psych. ration. §. 81. — Wie es aber eigentlich ge-
meint sey, das erfährt man nicht so wohl wenn man die Psychologen fragt, als wenn man sie ertappt. So läſst sich Wolff ertappen im §. 601. der psych. empir. Zuerst sagt er recht gut: appetitus mu- tatur in aversationem; dann verbessert er sich: appetitus dicitur mu- tari in aversationem, quando loco facultatis appetendi sese exe- rit facultas aversandi! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0078" n="58"/> dem Unternehmen, in der Psychologie, in der Metaphy-<lb/> sik, Hauptwerke zu schreiben!</p><lb/> <p>Auf <hi rendition="#g">Wolffs</hi> Versuch einer Trennung der rationa-<lb/> len und empirischen Seelenlehre weiter einzugehn, ver-<lb/> bietet schon der Umstand, daſs eben in seiner empiri-<lb/> schen Psychologie, wo er <hi rendition="#g">reine Erfahrung</hi> verspricht,<lb/> der Hauptsitz der Seelenvermögen sich befindet. Die Art,<lb/> wie er diese Vermögen einführt, die Rechtfertigung aber<lb/> verschiebt, ist auffallend genug. <hi rendition="#i">Quotnam sint animae<lb/> facultates, et quales sint, in Psychologia empirica declara-<lb/> mus; quid vero proprie sint et quomodo animae insint, in<lb/> Psychologia rationali demum declarabitur</hi> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Wolfii</hi> psych. empirica</hi>. §. 29.</note>. Wir sollen<lb/> also in der empirischen Psychologie zuvörderst uns an<lb/> die Seelenvermögen <hi rendition="#g">gewöhnen</hi>; wir sollen auch vorläu-<lb/> fig allen Erschleichungen überlassen bleiben, die sich da-<lb/> mit verbinden möchten; ein andermal will man unsre Be-<lb/> griffe berichtigen! Doch wir wenden uns sogleich an die<lb/><hi rendition="#i">Psychologia rationalis:</hi> was werden wir finden? <hi rendition="#i">Faculta-<lb/> tes animae — cum sint nudae agendi possibilitates: ani-<lb/> mae tribuere diversas facultates idem est ac affirmare, pos-<lb/> sibile esse ut diversae eidem inexistant actiones</hi> <note place="foot" n="**)"><hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Wolfii</hi> psych. ration</hi>. §. 81. — Wie es aber eigentlich ge-<lb/> meint sey, das erfährt man nicht so wohl wenn man die Psychologen<lb/><hi rendition="#g">fragt</hi>, als wenn man sie <hi rendition="#g">ertappt</hi>. So läſst sich <hi rendition="#g">Wolff</hi> ertappen<lb/> im §. 601. der <hi rendition="#i">psych. empir</hi>. Zuerst sagt er recht gut: <hi rendition="#i">appetitus mu-<lb/> tatur in aversationem;</hi> dann verbessert er sich: <hi rendition="#i">appetitus dicitur mu-<lb/> tari in aversationem, quando loco <hi rendition="#g">facultatis</hi> appetendi <hi rendition="#g">sese exe-<lb/> rit facultas</hi> aversandi!</hi></note>. Wor-<lb/> aus folgt, daſs die Seele <hi rendition="#g">so vielerley</hi> Vermögen habe,<lb/> als nur immer Handlungen in ihr vorgehn; so daſs alles<lb/> auf die Richtigkeit und Zulänglichkeit der Abstractionen<lb/> ankommt, durch welche man die Arten und Gattungen<lb/> dieser Handlungen vestsetzt. Wie sicher und genau nun<lb/> das Geschäfft des Abstrahirens da vollbracht werden<lb/> könne, wo man nichts als flieſsende und schwindende<lb/> Zustände vorfindet; wie viel alsdann ferner die gemach-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0078]
dem Unternehmen, in der Psychologie, in der Metaphy-
sik, Hauptwerke zu schreiben!
Auf Wolffs Versuch einer Trennung der rationa-
len und empirischen Seelenlehre weiter einzugehn, ver-
bietet schon der Umstand, daſs eben in seiner empiri-
schen Psychologie, wo er reine Erfahrung verspricht,
der Hauptsitz der Seelenvermögen sich befindet. Die Art,
wie er diese Vermögen einführt, die Rechtfertigung aber
verschiebt, ist auffallend genug. Quotnam sint animae
facultates, et quales sint, in Psychologia empirica declara-
mus; quid vero proprie sint et quomodo animae insint, in
Psychologia rationali demum declarabitur *). Wir sollen
also in der empirischen Psychologie zuvörderst uns an
die Seelenvermögen gewöhnen; wir sollen auch vorläu-
fig allen Erschleichungen überlassen bleiben, die sich da-
mit verbinden möchten; ein andermal will man unsre Be-
griffe berichtigen! Doch wir wenden uns sogleich an die
Psychologia rationalis: was werden wir finden? Faculta-
tes animae — cum sint nudae agendi possibilitates: ani-
mae tribuere diversas facultates idem est ac affirmare, pos-
sibile esse ut diversae eidem inexistant actiones **). Wor-
aus folgt, daſs die Seele so vielerley Vermögen habe,
als nur immer Handlungen in ihr vorgehn; so daſs alles
auf die Richtigkeit und Zulänglichkeit der Abstractionen
ankommt, durch welche man die Arten und Gattungen
dieser Handlungen vestsetzt. Wie sicher und genau nun
das Geschäfft des Abstrahirens da vollbracht werden
könne, wo man nichts als flieſsende und schwindende
Zustände vorfindet; wie viel alsdann ferner die gemach-
*) Wolfii psych. empirica. §. 29.
**) Wolfii psych. ration. §. 81. — Wie es aber eigentlich ge-
meint sey, das erfährt man nicht so wohl wenn man die Psychologen
fragt, als wenn man sie ertappt. So läſst sich Wolff ertappen
im §. 601. der psych. empir. Zuerst sagt er recht gut: appetitus mu-
tatur in aversationem; dann verbessert er sich: appetitus dicitur mu-
tari in aversationem, quando loco facultatis appetendi sese exe-
rit facultas aversandi!
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