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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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ten Abstractionen helfen können, um die Erfahrung von
diesen fliessenden Zuständen, nicht etwan zu erklären,
sondern nur treulich aufzufassen; wie wohl oder übel
demnach die empirische Psychologie mit dem Register
von Seelenvermögen berathen sey: darüber ist oben ge-
redet worden. Wir wollen uns daher nicht damit bemü-
hen, diejenigen Abstractionen, welche Wolff wirklich
verzeichnet hat, näher anzusehen. Und wenn die Neuern
ihm zu seinem Erkenntniss- und Begehrungsvermögen
noch ein ganzes Hauptvermögen, das Gefühlvermögen,
hinzugefügt haben: so wollen wir darum eben nicht glau-
ben, die Neuern hätten es besser verstanden wie Er, son-
dern wir wollen diese Mishelligkeit lieber aus der Unsi-
cherheit des ganzen Unternehmens, die nahe an Unbrauch-
barkeit gränzt, zu begreifen suchen. Dagegen aber be-
gleiten wir Wolffen, den Metaphysiker, noch ein Paar
Schritte in seine Ontologie hinein. Er selbst weiset uns
dahin. Denn in dem schon angeführten §. sagt er wei-
ter: necesse est ut detur ratio sufficiens, cur talia in anima
possibilia sint. Quare cum in essentia contineatur ratio eo-
rum, quae praeter eam enti vel constanter insunt, vel
inesse possunt, -- per vim animae intelligi debet,
cur
talia in anima possibilia sint
. Man spanne aber die
Erwartung ja nicht zu hoch! Denn es heisst gleich weiter:
Tribuuntur itaque animae tales facultates, quia possibile
est ut talia per vim eiusdem diversis legibus obtemperantem
actuentur
. Man lege also nur die verschiedenen Möglichkei-
ten in die Eine Kraft hinein, damit man sie alsdann wieder
daraus begreifen könne! Es folgen aber noch Beyspiele.
Die Luft lässt sich verdichten; also hat sie ein Vermö-
gen verdichtet zu werden. Der Stein kann warm wer-
den; also hat er ein Vermögen warm zu werden. "Haec
calefiendi potentia quo modo inest lapidi, eodem modo fa-
cultas quaelibet inest animae."
Da wir aber noch nicht
wissen, wie eigentlich der Stein und die Luft allerley
Vermögen enthalten können, vielmehr diese gar nicht ge-
ringen physikalischen Fragen noch eher an den Seelen-

ten Abstractionen helfen können, um die Erfahrung von
diesen flieſsenden Zuständen, nicht etwan zu erklären,
sondern nur treulich aufzufassen; wie wohl oder übel
demnach die empirische Psychologie mit dem Register
von Seelenvermögen berathen sey: darüber ist oben ge-
redet worden. Wir wollen uns daher nicht damit bemü-
hen, diejenigen Abstractionen, welche Wolff wirklich
verzeichnet hat, näher anzusehen. Und wenn die Neuern
ihm zu seinem Erkenntniſs- und Begehrungsvermögen
noch ein ganzes Hauptvermögen, das Gefühlvermögen,
hinzugefügt haben: so wollen wir darum eben nicht glau-
ben, die Neuern hätten es besser verstanden wie Er, son-
dern wir wollen diese Mishelligkeit lieber aus der Unsi-
cherheit des ganzen Unternehmens, die nahe an Unbrauch-
barkeit gränzt, zu begreifen suchen. Dagegen aber be-
gleiten wir Wolffen, den Metaphysiker, noch ein Paar
Schritte in seine Ontologie hinein. Er selbst weiset uns
dahin. Denn in dem schon angeführten §. sagt er wei-
ter: necesse est ut detur ratio sufficiens, cur talia in anima
possibilia sint. Quare cum in essentia contineatur ratio eo-
rum, quae praeter eam enti vel constanter insunt, vel
inesse possunt, — per vim animae intelligi debet,
cur
talia in anima possibilia sint
. Man spanne aber die
Erwartung ja nicht zu hoch! Denn es heiſst gleich weiter:
Tribuuntur itaque animae tales facultates, quia possibile
est ut talia per vim eiusdem diversis legibus obtemperantem
actuentur
. Man lege also nur die verschiedenen Möglichkei-
ten in die Eine Kraft hinein, damit man sie alsdann wieder
daraus begreifen könne! Es folgen aber noch Beyspiele.
Die Luft läſst sich verdichten; also hat sie ein Vermö-
gen verdichtet zu werden. Der Stein kann warm wer-
den; also hat er ein Vermögen warm zu werden. „Haec
calefiendi potentia quo modo inest lapidi, eodem modo fa-
cultas quaelibet inest animae.“
Da wir aber noch nicht
wissen, wie eigentlich der Stein und die Luft allerley
Vermögen enthalten können, vielmehr diese gar nicht ge-
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[59/0079] ten Abstractionen helfen können, um die Erfahrung von diesen flieſsenden Zuständen, nicht etwan zu erklären, sondern nur treulich aufzufassen; wie wohl oder übel demnach die empirische Psychologie mit dem Register von Seelenvermögen berathen sey: darüber ist oben ge- redet worden. Wir wollen uns daher nicht damit bemü- hen, diejenigen Abstractionen, welche Wolff wirklich verzeichnet hat, näher anzusehen. Und wenn die Neuern ihm zu seinem Erkenntniſs- und Begehrungsvermögen noch ein ganzes Hauptvermögen, das Gefühlvermögen, hinzugefügt haben: so wollen wir darum eben nicht glau- ben, die Neuern hätten es besser verstanden wie Er, son- dern wir wollen diese Mishelligkeit lieber aus der Unsi- cherheit des ganzen Unternehmens, die nahe an Unbrauch- barkeit gränzt, zu begreifen suchen. Dagegen aber be- gleiten wir Wolffen, den Metaphysiker, noch ein Paar Schritte in seine Ontologie hinein. Er selbst weiset uns dahin. Denn in dem schon angeführten §. sagt er wei- ter: necesse est ut detur ratio sufficiens, cur talia in anima possibilia sint. Quare cum in essentia contineatur ratio eo- rum, quae praeter eam enti vel constanter insunt, vel inesse possunt, — per vim animae intelligi debet, cur talia in anima possibilia sint. Man spanne aber die Erwartung ja nicht zu hoch! Denn es heiſst gleich weiter: Tribuuntur itaque animae tales facultates, quia possibile est ut talia per vim eiusdem diversis legibus obtemperantem actuentur. Man lege also nur die verschiedenen Möglichkei- ten in die Eine Kraft hinein, damit man sie alsdann wieder daraus begreifen könne! Es folgen aber noch Beyspiele. Die Luft läſst sich verdichten; also hat sie ein Vermö- gen verdichtet zu werden. Der Stein kann warm wer- den; also hat er ein Vermögen warm zu werden. „Haec calefiendi potentia quo modo inest lapidi, eodem modo fa- cultas quaelibet inest animae.“ Da wir aber noch nicht wissen, wie eigentlich der Stein und die Luft allerley Vermögen enthalten können, vielmehr diese gar nicht ge- ringen physikalischen Fragen noch eher an den Seelen-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/79>, abgerufen am 21.11.2024.