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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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auch schiebt er die Schuld des Irrthums in der rationa-
len Psychologie auf einen Paralogismus, der wohl schwer-
lich fähig seyn oder gewesen seyn möchte, irgend Jeman-
den unter den besseren und sorgfältigeren Denkern zu
täuschen. Oder sollte wohl Leibniz darum die Seele
für Substanz gehalten haben (man weiss wie viel Gewicht
er eben hierauf legt), weil: "ein denkendes Wesen, bloss
als ein solches betrachtet, nicht anders, denn als Subject
kann gedacht werden" --? *) Schlagen wir den Leibniz
auf, so finden wir alles was wir brauchen in folgenden
Worten beysammen: Il faut bien qu'il y ait des substan-
ces simples par-tout, parceque sans les simples il n'y auroit
point de composees; et par consequent toute la nature
est pleine de vie
**). Hier finden wir früher Substanzen
als Seelen; früher die Ueberzeugung von einfachen Be-
standtheilen des Zusammengesetzten, als von der Ein-
fachheit der Seele; mit einem Worte, früher allgemeine
Metaphysik als Psychologie. Und so ist es natürlich.
Erst überlegt man, ob Substanzen als einfache Wesen
anzunehmen seyen? Dann folgt die Frage, was diese
Substanzen seyn mögen? Worauf Leibniz, in der
That voreilig, aber in der Absicht, ihnen eine nicht
bloss relative, sondern rein-innerliche Qualität anzuwei-
sen, antwortete: sie sind vorstellende Wesen, eben
darum, weil sie Substanzen sind. Leibnizens Satz
heisst nicht, die Seelen sind Substanzen, sondern:
die Substanzen sind Seelen. Wer aber diese Vor-
schnelligkeit vermeidet, der fängt freylich in Hinsicht der
Seele von der innern Wahrnehmung an; aber er schliesst
nicht von dem: Ich denke, als dem allgemeinen Sub-
jecte zu allen vorgestellten Objecten, auf eine Existenz
eines Subjects, das nie Prädicat seyn könne; -- sondern
von der gegenseitigen Durchdringung aller unserer Vor-
stellungen, und ihrer Concentration in dem Einen Be-

*) Kants Kritik d. r. V. S. 411.
**) Leibnitii op. Vol. II. pag. 32.

auch schiebt er die Schuld des Irrthums in der rationa-
len Psychologie auf einen Paralogismus, der wohl schwer-
lich fähig seyn oder gewesen seyn möchte, irgend Jeman-
den unter den besseren und sorgfältigeren Denkern zu
täuschen. Oder sollte wohl Leibniz darum die Seele
für Substanz gehalten haben (man weiſs wie viel Gewicht
er eben hierauf legt), weil: „ein denkendes Wesen, bloſs
als ein solches betrachtet, nicht anders, denn als Subject
kann gedacht werden“ —? *) Schlagen wir den Leibniz
auf, so finden wir alles was wir brauchen in folgenden
Worten beysammen: Il faut bien qu’il y ait des substan-
ces simples par-tout, parceque sans les simples il n’y auroit
point de composées; et par conséquent toute la nature
est pleine de vie
**). Hier finden wir früher Substanzen
als Seelen; früher die Ueberzeugung von einfachen Be-
standtheilen des Zusammengesetzten, als von der Ein-
fachheit der Seele; mit einem Worte, früher allgemeine
Metaphysik als Psychologie. Und so ist es natürlich.
Erst überlegt man, ob Substanzen als einfache Wesen
anzunehmen seyen? Dann folgt die Frage, was diese
Substanzen seyn mögen? Worauf Leibniz, in der
That voreilig, aber in der Absicht, ihnen eine nicht
bloſs relative, sondern rein-innerliche Qualität anzuwei-
sen, antwortete: sie sind vorstellende Wesen, eben
darum, weil sie Substanzen sind. Leibnizens Satz
heiſst nicht, die Seelen sind Substanzen, sondern:
die Substanzen sind Seelen. Wer aber diese Vor-
schnelligkeit vermeidet, der fängt freylich in Hinsicht der
Seele von der innern Wahrnehmung an; aber er schlieſst
nicht von dem: Ich denke, als dem allgemeinen Sub-
jecte zu allen vorgestellten Objecten, auf eine Existenz
eines Subjects, das nie Prädicat seyn könne; — sondern
von der gegenseitigen Durchdringung aller unserer Vor-
stellungen, und ihrer Concentration in dem Einen Be-

*) Kants Kritik d. r. V. S. 411.
**) Leibnitii op. Vol. II. pag. 32.
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[63/0083] auch schiebt er die Schuld des Irrthums in der rationa- len Psychologie auf einen Paralogismus, der wohl schwer- lich fähig seyn oder gewesen seyn möchte, irgend Jeman- den unter den besseren und sorgfältigeren Denkern zu täuschen. Oder sollte wohl Leibniz darum die Seele für Substanz gehalten haben (man weiſs wie viel Gewicht er eben hierauf legt), weil: „ein denkendes Wesen, bloſs als ein solches betrachtet, nicht anders, denn als Subject kann gedacht werden“ —? *) Schlagen wir den Leibniz auf, so finden wir alles was wir brauchen in folgenden Worten beysammen: Il faut bien qu’il y ait des substan- ces simples par-tout, parceque sans les simples il n’y auroit point de composées; et par conséquent toute la nature est pleine de vie **). Hier finden wir früher Substanzen als Seelen; früher die Ueberzeugung von einfachen Be- standtheilen des Zusammengesetzten, als von der Ein- fachheit der Seele; mit einem Worte, früher allgemeine Metaphysik als Psychologie. Und so ist es natürlich. Erst überlegt man, ob Substanzen als einfache Wesen anzunehmen seyen? Dann folgt die Frage, was diese Substanzen seyn mögen? Worauf Leibniz, in der That voreilig, aber in der Absicht, ihnen eine nicht bloſs relative, sondern rein-innerliche Qualität anzuwei- sen, antwortete: sie sind vorstellende Wesen, eben darum, weil sie Substanzen sind. Leibnizens Satz heiſst nicht, die Seelen sind Substanzen, sondern: die Substanzen sind Seelen. Wer aber diese Vor- schnelligkeit vermeidet, der fängt freylich in Hinsicht der Seele von der innern Wahrnehmung an; aber er schlieſst nicht von dem: Ich denke, als dem allgemeinen Sub- jecte zu allen vorgestellten Objecten, auf eine Existenz eines Subjects, das nie Prädicat seyn könne; — sondern von der gegenseitigen Durchdringung aller unserer Vor- stellungen, und ihrer Concentration in dem Einen Be- *) Kants Kritik d. r. V. S. 411. **) Leibnitii op. Vol. II. pag. 32.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/83>, abgerufen am 18.12.2024.