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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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dient es Dank von Seiten derjenigen, welche den unhalt-
baren Grund der Kant'schen Lehre für sich allein nicht
entdecken können, dass ein Mann aufgetreten ist, der in
eine sogenannte philosophische Anthropologie alles das
Schwankende zusammengestellt hat, worauf Kant, als
auf gutem Grunde, vesten Fuss fassen wollte. Dies er-
leichtert die Prüfung; und wer in den Darstellungen des
Herrn Fries noch nicht sehen kann, wie in den ersten
Voraussetzungen Wahres und Falsches gemischt, und
wie selbst das Wahre als roher Stoff unausgearbeitet
daliegt, der wird sich schwerlich je darauf besinnen. Mir
ist es wahrscheinlich, dass wenn Kant, mit alter rüsti-
ger Kraft des Denkens, noch lebte, Niemand besser als
Herr Fries ihn zu einer Revision seines Systems würde
vermögen können. Denn ohne Zweifel bedurfte ein so
vortrefflicher Geist nichts anderes, als nur eine Zusammen-
stellung seiner eignen Voraussetzungen, nur eine Richtung
seiner Aufmerksamkeit, welche in den Humeschen Pro-
blemen zu sehr befangen war, um alle die verschiedenen
Anfangspuncte der Speculation gehörig zu benutzen. --
Soll aber nicht von Beleuchtung der Kant'schen Lehre,
sondern von Psychologie die Rede seyn, so bedarf diese
der allgemeinen Metaphysik zu ihrer Unterstützung; und
Herr Prof. Fries hat das Hinterste nach vorn gewen-
det, indem er der Metaphysik seine Anthropologie vor-
anschickt *). (Man sehe oben §. 15. gegen das Ende.)

Diesem Verfahren gerade entgegengesetzt ist das des
Herrn Prof. Weiss; in seinen Untersuchungen über das
Wesen und Wirken der menschlichen Seele. Er legt
eine dynamische Natur-Ansicht zum Grunde, -- und
macht es mir eben dadurch unmöglich, mich hier, wo
für ausführliche Betrachtungen aus allgemeiner Metaphy-

*) Auf die neuern Werke des Herrn Prof. Fries wird hier aus
denselben Gründen keine Rücksicht genommen, derentwegen hier alles
vermieden wird, was als Persönlichkeit könnte ausgelegt werden. Der
Leser hat nun die Freyheit, anzunehmen, der Gegenstand meines Tadels
sey schon verschwunden, und das Neueste sey davon weit verschieden.

dient es Dank von Seiten derjenigen, welche den unhalt-
baren Grund der Kant’schen Lehre für sich allein nicht
entdecken können, daſs ein Mann aufgetreten ist, der in
eine sogenannte philosophische Anthropologie alles das
Schwankende zusammengestellt hat, worauf Kant, als
auf gutem Grunde, vesten Fuſs fassen wollte. Dies er-
leichtert die Prüfung; und wer in den Darstellungen des
Herrn Fries noch nicht sehen kann, wie in den ersten
Voraussetzungen Wahres und Falsches gemischt, und
wie selbst das Wahre als roher Stoff unausgearbeitet
daliegt, der wird sich schwerlich je darauf besinnen. Mir
ist es wahrscheinlich, daſs wenn Kant, mit alter rüsti-
ger Kraft des Denkens, noch lebte, Niemand besser als
Herr Fries ihn zu einer Revision seines Systems würde
vermögen können. Denn ohne Zweifel bedurfte ein so
vortrefflicher Geist nichts anderes, als nur eine Zusammen-
stellung seiner eignen Voraussetzungen, nur eine Richtung
seiner Aufmerksamkeit, welche in den Humeschen Pro-
blemen zu sehr befangen war, um alle die verschiedenen
Anfangspuncte der Speculation gehörig zu benutzen. —
Soll aber nicht von Beleuchtung der Kant’schen Lehre,
sondern von Psychologie die Rede seyn, so bedarf diese
der allgemeinen Metaphysik zu ihrer Unterstützung; und
Herr Prof. Fries hat das Hinterste nach vorn gewen-
det, indem er der Metaphysik seine Anthropologie vor-
anschickt *). (Man sehe oben §. 15. gegen das Ende.)

Diesem Verfahren gerade entgegengesetzt ist das des
Herrn Prof. Weiſs; in seinen Untersuchungen über das
Wesen und Wirken der menschlichen Seele. Er legt
eine dynamische Natur-Ansicht zum Grunde, — und
macht es mir eben dadurch unmöglich, mich hier, wo
für ausführliche Betrachtungen aus allgemeiner Metaphy-

*) Auf die neuern Werke des Herrn Prof. Fries wird hier aus
denselben Gründen keine Rücksicht genommen, derentwegen hier alles
vermieden wird, was als Persönlichkeit könnte ausgelegt werden. Der
Leser hat nun die Freyheit, anzunehmen, der Gegenstand meines Tadels
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[71/0091] dient es Dank von Seiten derjenigen, welche den unhalt- baren Grund der Kant’schen Lehre für sich allein nicht entdecken können, daſs ein Mann aufgetreten ist, der in eine sogenannte philosophische Anthropologie alles das Schwankende zusammengestellt hat, worauf Kant, als auf gutem Grunde, vesten Fuſs fassen wollte. Dies er- leichtert die Prüfung; und wer in den Darstellungen des Herrn Fries noch nicht sehen kann, wie in den ersten Voraussetzungen Wahres und Falsches gemischt, und wie selbst das Wahre als roher Stoff unausgearbeitet daliegt, der wird sich schwerlich je darauf besinnen. Mir ist es wahrscheinlich, daſs wenn Kant, mit alter rüsti- ger Kraft des Denkens, noch lebte, Niemand besser als Herr Fries ihn zu einer Revision seines Systems würde vermögen können. Denn ohne Zweifel bedurfte ein so vortrefflicher Geist nichts anderes, als nur eine Zusammen- stellung seiner eignen Voraussetzungen, nur eine Richtung seiner Aufmerksamkeit, welche in den Humeschen Pro- blemen zu sehr befangen war, um alle die verschiedenen Anfangspuncte der Speculation gehörig zu benutzen. — Soll aber nicht von Beleuchtung der Kant’schen Lehre, sondern von Psychologie die Rede seyn, so bedarf diese der allgemeinen Metaphysik zu ihrer Unterstützung; und Herr Prof. Fries hat das Hinterste nach vorn gewen- det, indem er der Metaphysik seine Anthropologie vor- anschickt *). (Man sehe oben §. 15. gegen das Ende.) Diesem Verfahren gerade entgegengesetzt ist das des Herrn Prof. Weiſs; in seinen Untersuchungen über das Wesen und Wirken der menschlichen Seele. Er legt eine dynamische Natur-Ansicht zum Grunde, — und macht es mir eben dadurch unmöglich, mich hier, wo für ausführliche Betrachtungen aus allgemeiner Metaphy- *) Auf die neuern Werke des Herrn Prof. Fries wird hier aus denselben Gründen keine Rücksicht genommen, derentwegen hier alles vermieden wird, was als Persönlichkeit könnte ausgelegt werden. Der Leser hat nun die Freyheit, anzunehmen, der Gegenstand meines Tadels sey schon verschwunden, und das Neueste sey davon weit verschieden.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/91>, abgerufen am 21.11.2024.