in der Auffassung eines so ungereimten Wesens war cher zu vermuthen, als an die Wahrheit einer solchen Auffassung konnte geglaubt werden. Und wenn dennoch die Ueberzeugung veststand, das Selbstbewusstseyn lasse sich durch keinen andern Begriff, als nur gerade durch jene Identität des Subjects und Objects rein aussprechen: so folgte eben daraus, man habe ein Gegebenes vor sich, das, weil es nicht gleich einer zufälligen Täuschung ver- worfen, doch aber auch nicht im Denken beybehalten werden könne, zu einer Umarbeitung des Begriffs auffor- dere und nöthige; und auf diese Weise zwar keineswe- ges ein Real-Princip, wohl aber ein Erkenntniss-Princip für die Speculation abgebe.
Aber Fichte hatte einmal seinem Wollen Einfluss auf das Denken verstattet. Er glaubte in dem Ich die Freyheit zu finden, und von der Freyheit wollte er nicht lassen. Er behielt also den undenkbaren Gedanken; er gab ihm Auctorität durch das Vorgeben einer intellectua- len Anschauung, denn dafür hielt er den Zustand der Anstrengung, mit welcher das Undenkbare als ein Gege- benes der innern Wahrnehmung vestgehalten wurde; und so wurde einer der grössten Denker, die je gewesen sind, zum Urheber einer Schwärmerey, die in der Folge, als sie sich die sogenannte absolute Identität zum Mittel- puncte erkoren, und diese mit Spinozismus, Platonismus, Physik und Physiologie amalgamirt hatte, in einem wei- ten Kreise die Stelle der Philosophie besetzte, und aus einem noch viel weitern Kreise die Philosophie ver- scheuchte, weil man über der intellectualen Anschauung nicht den Verstand verlieren wollte.
Dieses letztere ist nun das einzige Wollen, welches in die Forschung einzulassen ich mir erlaube. Da ich einmal denke, und nicht umhin kann, alles Angeschaute zu denken und in Begriffe zu fassen, so will ich weiter nichts als nur, dass das Angeschaute denkbar seyn, oder, falls es dieses nicht von selbst wäre, denkbar werden solle, wozu denn freylich eine solche Umwandlung der
in der Auffassung eines so ungereimten Wesens war cher zu vermuthen, als an die Wahrheit einer solchen Auffassung konnte geglaubt werden. Und wenn dennoch die Ueberzeugung veststand, das Selbstbewuſstseyn lasse sich durch keinen andern Begriff, als nur gerade durch jene Identität des Subjects und Objects rein aussprechen: so folgte eben daraus, man habe ein Gegebenes vor sich, das, weil es nicht gleich einer zufälligen Täuschung ver- worfen, doch aber auch nicht im Denken beybehalten werden könne, zu einer Umarbeitung des Begriffs auffor- dere und nöthige; und auf diese Weise zwar keineswe- ges ein Real-Princip, wohl aber ein Erkenntniſs-Princip für die Speculation abgebe.
Aber Fichte hatte einmal seinem Wollen Einfluſs auf das Denken verstattet. Er glaubte in dem Ich die Freyheit zu finden, und von der Freyheit wollte er nicht lassen. Er behielt also den undenkbaren Gedanken; er gab ihm Auctorität durch das Vorgeben einer intellectua- len Anschauung, denn dafür hielt er den Zustand der Anstrengung, mit welcher das Undenkbare als ein Gege- benes der innern Wahrnehmung vestgehalten wurde; und so wurde einer der gröſsten Denker, die je gewesen sind, zum Urheber einer Schwärmerey, die in der Folge, als sie sich die sogenannte absolute Identität zum Mittel- puncte erkoren, und diese mit Spinozismus, Platonismus, Physik und Physiologie amalgamirt hatte, in einem wei- ten Kreise die Stelle der Philosophie besetzte, und aus einem noch viel weitern Kreise die Philosophie ver- scheuchte, weil man über der intellectualen Anschauung nicht den Verstand verlieren wollte.
Dieses letztere ist nun das einzige Wollen, welches in die Forschung einzulassen ich mir erlaube. Da ich einmal denke, und nicht umhin kann, alles Angeschaute zu denken und in Begriffe zu fassen, so will ich weiter nichts als nur, daſs das Angeschaute denkbar seyn, oder, falls es dieses nicht von selbst wäre, denkbar werden solle, wozu denn freylich eine solche Umwandlung der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0095"n="75"/>
in der Auffassung eines so ungereimten Wesens war<lb/>
cher zu vermuthen, als an die Wahrheit einer solchen<lb/>
Auffassung konnte geglaubt werden. Und wenn dennoch<lb/>
die Ueberzeugung veststand, das Selbstbewuſstseyn lasse<lb/>
sich durch keinen andern Begriff, als nur gerade durch<lb/>
jene Identität des Subjects und Objects rein aussprechen:<lb/>
so folgte eben daraus, man habe ein Gegebenes vor sich,<lb/>
das, weil es nicht gleich einer zufälligen Täuschung ver-<lb/>
worfen, doch aber auch nicht im Denken beybehalten<lb/>
werden könne, zu einer Umarbeitung des Begriffs auffor-<lb/>
dere und nöthige; und auf diese Weise zwar keineswe-<lb/>
ges ein Real-Princip, wohl aber ein Erkenntniſs-Princip<lb/>
für die Speculation abgebe.</p><lb/><p>Aber <hirendition="#g">Fichte</hi> hatte einmal seinem <hirendition="#g">Wollen</hi> Einfluſs<lb/>
auf das <hirendition="#g">Denken</hi> verstattet. Er glaubte in dem Ich die<lb/>
Freyheit zu finden, und von der Freyheit <hirendition="#g">wollte</hi> er nicht<lb/>
lassen. Er behielt also den undenkbaren Gedanken; er<lb/>
gab ihm Auctorität durch das Vorgeben einer intellectua-<lb/>
len Anschauung, denn dafür hielt er den Zustand der<lb/>
Anstrengung, mit welcher das Undenkbare als ein Gege-<lb/>
benes der innern Wahrnehmung vestgehalten wurde; und<lb/>
so wurde einer der gröſsten Denker, die je gewesen sind,<lb/>
zum Urheber einer Schwärmerey, die in der Folge, als<lb/>
sie sich die sogenannte absolute Identität zum Mittel-<lb/>
puncte erkoren, und diese mit Spinozismus, Platonismus,<lb/>
Physik und Physiologie amalgamirt hatte, in einem wei-<lb/>
ten Kreise die Stelle der Philosophie besetzte, und aus<lb/>
einem noch viel weitern Kreise die Philosophie <hirendition="#g">ver-<lb/>
scheuchte</hi>, weil man über der intellectualen Anschauung<lb/>
nicht den Verstand verlieren wollte.</p><lb/><p>Dieses letztere ist nun das einzige Wollen, welches<lb/>
in die Forschung einzulassen ich mir erlaube. Da ich<lb/>
einmal denke, und nicht umhin kann, alles Angeschaute<lb/>
zu denken und in Begriffe zu fassen, so will ich weiter<lb/>
nichts als nur, daſs das Angeschaute denkbar seyn, oder,<lb/>
falls es dieses nicht von selbst wäre, denkbar <hirendition="#g">werden</hi><lb/>
solle, wozu denn freylich eine solche Umwandlung der<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[75/0095]
in der Auffassung eines so ungereimten Wesens war
cher zu vermuthen, als an die Wahrheit einer solchen
Auffassung konnte geglaubt werden. Und wenn dennoch
die Ueberzeugung veststand, das Selbstbewuſstseyn lasse
sich durch keinen andern Begriff, als nur gerade durch
jene Identität des Subjects und Objects rein aussprechen:
so folgte eben daraus, man habe ein Gegebenes vor sich,
das, weil es nicht gleich einer zufälligen Täuschung ver-
worfen, doch aber auch nicht im Denken beybehalten
werden könne, zu einer Umarbeitung des Begriffs auffor-
dere und nöthige; und auf diese Weise zwar keineswe-
ges ein Real-Princip, wohl aber ein Erkenntniſs-Princip
für die Speculation abgebe.
Aber Fichte hatte einmal seinem Wollen Einfluſs
auf das Denken verstattet. Er glaubte in dem Ich die
Freyheit zu finden, und von der Freyheit wollte er nicht
lassen. Er behielt also den undenkbaren Gedanken; er
gab ihm Auctorität durch das Vorgeben einer intellectua-
len Anschauung, denn dafür hielt er den Zustand der
Anstrengung, mit welcher das Undenkbare als ein Gege-
benes der innern Wahrnehmung vestgehalten wurde; und
so wurde einer der gröſsten Denker, die je gewesen sind,
zum Urheber einer Schwärmerey, die in der Folge, als
sie sich die sogenannte absolute Identität zum Mittel-
puncte erkoren, und diese mit Spinozismus, Platonismus,
Physik und Physiologie amalgamirt hatte, in einem wei-
ten Kreise die Stelle der Philosophie besetzte, und aus
einem noch viel weitern Kreise die Philosophie ver-
scheuchte, weil man über der intellectualen Anschauung
nicht den Verstand verlieren wollte.
Dieses letztere ist nun das einzige Wollen, welches
in die Forschung einzulassen ich mir erlaube. Da ich
einmal denke, und nicht umhin kann, alles Angeschaute
zu denken und in Begriffe zu fassen, so will ich weiter
nichts als nur, daſs das Angeschaute denkbar seyn, oder,
falls es dieses nicht von selbst wäre, denkbar werden
solle, wozu denn freylich eine solche Umwandlung der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/95>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.