"eines praktischen Interesse; ich will selbstständig seyn, "darum halte ich mich dafür."
Diese Aussage enthält den einzigen denkbaren Er- klärungsgrund, weshalb Fichte, dem die Unmöglichkeit des Ich deutlich genug vor Augen lag, dennoch dabey beharrte, dasselbe als real, als absolut, und in dieser Ge- stalt als Princip der Philosophie zu betrachten. Ein we- nig weiter hin (S. 42.), sagt uns Fichte: "Nicht das "subjective, noch das objective, sondern -- eine Identi- "tät ist das Wesen des Ich; und das erstere wird nur "gesagt, um die leere Stelle dieser Identität zu bezeich- "nen. Kann nun irgend Jemand diese Identität, als sich "selbst, denken? Schlechterdings nicht; denn um sich "selbst zu denken, muss man ja eben jene Unterschei- "dung zwischen subjectivem, und objectivem, "vornehmen, die in diesem Begriffe nicht vorgenom- "men werden soll. -- So kann man sich allerdings nicht "wohl enthalten, zu fragen: bin ich dann darum, weil "ich mich denke, oder denke ich mich darum, weil "ich bin? Aber ein solches Weil, und ein solches "Darum, findet hier gar nicht statt; du bist keins von "beyden, weil du das Andre bist; Du bist überhaupt nicht "zweyerley, sondern absolut einerley; und dieses un- "denkbare Eine bist du, schlechthin weil Du "es bist."
Dass ein Undenkbares nicht seyn kann, -- dass der- jenige sein eignes Denken aufhebt, welcher von dem Un- denkbaren denken will, Es sey, -- dass also, wenn der Lauf der Speculation auf einen solchen Punct geführt hat, man denselben schlechterdings verlassen müsse: die- ses leuchtet unmittelbar ein. Nachdem also Fichte sich den Begriff des Ich dergestalt analysirt hatte, dass er ein- sah, derselbe sey undenkbar: musste schon dieses, noch ohne vollständigere Entwickelung aller Widersprüche im Ich, ihn bestimmen, die zuerst angenommene Realität des Ich, sammt der vermeinten intellectualen Anschauung desselben, völlig zu verwerfen. Jede Art von Täuschung
„eines praktischen Interesse; ich will selbstständig seyn, „darum halte ich mich dafür.“
Diese Aussage enthält den einzigen denkbaren Er- klärungsgrund, weshalb Fichte, dem die Unmöglichkeit des Ich deutlich genug vor Augen lag, dennoch dabey beharrte, dasselbe als real, als absolut, und in dieser Ge- stalt als Princip der Philosophie zu betrachten. Ein we- nig weiter hin (S. 42.), sagt uns Fichte: „Nicht das „subjective, noch das objective, sondern — eine Identi- „tät ist das Wesen des Ich; und das erstere wird nur „gesagt, um die leere Stelle dieser Identität zu bezeich- „nen. Kann nun irgend Jemand diese Identität, als sich „selbst, denken? Schlechterdings nicht; denn um sich „selbst zu denken, muſs man ja eben jene Unterschei- „dung zwischen subjectivem, und objectivem, „vornehmen, die in diesem Begriffe nicht vorgenom- „men werden soll. — So kann man sich allerdings nicht „wohl enthalten, zu fragen: bin ich dann darum, weil „ich mich denke, oder denke ich mich darum, weil „ich bin? Aber ein solches Weil, und ein solches „Darum, findet hier gar nicht statt; du bist keins von „beyden, weil du das Andre bist; Du bist überhaupt nicht „zweyerley, sondern absolut einerley; und dieses un- „denkbare Eine bist du, schlechthin weil Du „es bist.“
Daſs ein Undenkbares nicht seyn kann, — daſs der- jenige sein eignes Denken aufhebt, welcher von dem Un- denkbaren denken will, Es sey, — daſs also, wenn der Lauf der Speculation auf einen solchen Punct geführt hat, man denselben schlechterdings verlassen müsse: die- ses leuchtet unmittelbar ein. Nachdem also Fichte sich den Begriff des Ich dergestalt analysirt hatte, daſs er ein- sah, derselbe sey undenkbar: muſste schon dieses, noch ohne vollständigere Entwickelung aller Widersprüche im Ich, ihn bestimmen, die zuerst angenommene Realität des Ich, sammt der vermeinten intellectualen Anschauung desselben, völlig zu verwerfen. Jede Art von Täuschung
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„eines praktischen Interesse; ich will selbstständig seyn,
„darum halte ich mich dafür.“
Diese Aussage enthält den einzigen denkbaren Er-
klärungsgrund, weshalb Fichte, dem die Unmöglichkeit
des Ich deutlich genug vor Augen lag, dennoch dabey
beharrte, dasselbe als real, als absolut, und in dieser Ge-
stalt als Princip der Philosophie zu betrachten. Ein we-
nig weiter hin (S. 42.), sagt uns Fichte: „Nicht das
„subjective, noch das objective, sondern — eine Identi-
„tät ist das Wesen des Ich; und das erstere wird nur
„gesagt, um die leere Stelle dieser Identität zu bezeich-
„nen. Kann nun irgend Jemand diese Identität, als sich
„selbst, denken? Schlechterdings nicht; denn um sich
„selbst zu denken, muſs man ja eben jene Unterschei-
„dung zwischen subjectivem, und objectivem,
„vornehmen, die in diesem Begriffe nicht vorgenom-
„men werden soll. — So kann man sich allerdings nicht
„wohl enthalten, zu fragen: bin ich dann darum, weil
„ich mich denke, oder denke ich mich darum, weil
„ich bin? Aber ein solches Weil, und ein solches
„Darum, findet hier gar nicht statt; du bist keins von
„beyden, weil du das Andre bist; Du bist überhaupt nicht
„zweyerley, sondern absolut einerley; und dieses un-
„denkbare Eine bist du, schlechthin weil Du
„es bist.“
Daſs ein Undenkbares nicht seyn kann, — daſs der-
jenige sein eignes Denken aufhebt, welcher von dem Un-
denkbaren denken will, Es sey, — daſs also, wenn der
Lauf der Speculation auf einen solchen Punct geführt
hat, man denselben schlechterdings verlassen müsse: die-
ses leuchtet unmittelbar ein. Nachdem also Fichte sich
den Begriff des Ich dergestalt analysirt hatte, daſs er ein-
sah, derselbe sey undenkbar: muſste schon dieses, noch
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Ich, ihn bestimmen, die zuerst angenommene Realität
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/94>, abgerufen am 21.11.2024.
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