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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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seiner realen und idealen Thätigkeit weitläuftig zu reden;
den heterogenen Elementen, woraus er das für real ge-
haltene Ich, nicht glücklicher zusammensetzt, als nach
ihm Herr Prof. Weiss aus Sinn und Trieb die Seele.
Eben so wenig wird uns die unbegreifliche Schranke im
Ich, beschäfftigen können, welche die Unmöglichkeit, ei-
nen haltbaren Idealismus aufzustellen, klar an den Tag
legt. -- Wohl aber ist es die erste Behandlung des Be-
griffs des Ich, die uns hier interessirt. Ich schlage
Fichte's Sittenlehre auf, welche ich noch jetzt für seine
Hauptschrift halte *). Den schon sonst gezeigten Schluss-
fehler, S. 14. 15., wo statt des Denkens der allgemeinere
Begriff des Handelns, statt dieses wiederum der ihm un-
tergeordnete des realen Handelns eingeschoben wird,
werde ich hier nicht genauer ins Licht setzen; aber die
Anmerkung S. 18. 19. ist von der höchsten Wichtigkeit
für Fichte's Lehre, und wir müssen sie auch hier er-
wägen. Sie beginnt so: "Dass das Wollen in der erklär-
"ten Bedeutung, als absolut erscheine, ist Factum des
"Bewusstseyns; -- daraus aber folgt nicht, dass diese Er-
"scheinung nicht selbst weiter erklärt, und abgeleitet wer-
"den müsse, wodurch die Absolutheit aufhörte, Absolut-
"heit zu seyn, und die Erscheinung derselben sich in
"Schein verwandelte: -- gerade so, wie es allerdings auch
"erscheint, dass bestimmte Dinge in Raum und Zeit un-
"abhängig von uns da sind, und diese Erscheinung doch
"weiter erklärt wird. -- Wenn man sich nun doch ent-
"schliesst, diese Erscheinung nicht weiter zu erklären;
"und sie für absolut unerklärbar, d. i. für Wahrheit,
"und für unsre einige Wahrheit zu halten, nach der alle
"andre Wahrheit beurtheilt, und gerichtet werden müsse,
"-- wie denn eben auf diese Entschliessung unsre ganze
"Philosophie aufgebaut ist, -- so geschieht dies nicht
"zufolge einer theoretischen Einsicht, sondern zufolge

*) Von Fichte's späteren Schriften braucht hier eben so wenig
die Rede zu seyn, als von einigen neuern Schriftstellern, die in den-
selben Irrthümern befangen sind, wie die oben bezeichneten.

seiner realen und idealen Thätigkeit weitläuftig zu reden;
den heterogenen Elementen, woraus er das für real ge-
haltene Ich, nicht glücklicher zusammensetzt, als nach
ihm Herr Prof. Weiſs aus Sinn und Trieb die Seele.
Eben so wenig wird uns die unbegreifliche Schranke im
Ich, beschäfftigen können, welche die Unmöglichkeit, ei-
nen haltbaren Idealismus aufzustellen, klar an den Tag
legt. — Wohl aber ist es die erste Behandlung des Be-
griffs des Ich, die uns hier interessirt. Ich schlage
Fichte’s Sittenlehre auf, welche ich noch jetzt für seine
Hauptschrift halte *). Den schon sonst gezeigten Schluſs-
fehler, S. 14. 15., wo statt des Denkens der allgemeinere
Begriff des Handelns, statt dieses wiederum der ihm un-
tergeordnete des realen Handelns eingeschoben wird,
werde ich hier nicht genauer ins Licht setzen; aber die
Anmerkung S. 18. 19. ist von der höchsten Wichtigkeit
für Fichte’s Lehre, und wir müssen sie auch hier er-
wägen. Sie beginnt so: „Daſs das Wollen in der erklär-
„ten Bedeutung, als absolut erscheine, ist Factum des
„Bewuſstseyns; — daraus aber folgt nicht, daſs diese Er-
„scheinung nicht selbst weiter erklärt, und abgeleitet wer-
„den müsse, wodurch die Absolutheit aufhörte, Absolut-
„heit zu seyn, und die Erscheinung derselben sich in
„Schein verwandelte: — gerade so, wie es allerdings auch
„erscheint, daſs bestimmte Dinge in Raum und Zeit un-
„abhängig von uns da sind, und diese Erscheinung doch
„weiter erklärt wird. — Wenn man sich nun doch ent-
„schlieſst, diese Erscheinung nicht weiter zu erklären;
„und sie für absolut unerklärbar, d. i. für Wahrheit,
„und für unsre einige Wahrheit zu halten, nach der alle
„andre Wahrheit beurtheilt, und gerichtet werden müsse,
„— wie denn eben auf diese Entschlieſsung unsre ganze
„Philosophie aufgebaut ist, — so geschieht dies nicht
„zufolge einer theoretischen Einsicht, sondern zufolge

*) Von Fichte’s späteren Schriften braucht hier eben so wenig
die Rede zu seyn, als von einigen neuern Schriftstellern, die in den-
selben Irrthümern befangen sind, wie die oben bezeichneten.
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[73/0093] seiner realen und idealen Thätigkeit weitläuftig zu reden; den heterogenen Elementen, woraus er das für real ge- haltene Ich, nicht glücklicher zusammensetzt, als nach ihm Herr Prof. Weiſs aus Sinn und Trieb die Seele. Eben so wenig wird uns die unbegreifliche Schranke im Ich, beschäfftigen können, welche die Unmöglichkeit, ei- nen haltbaren Idealismus aufzustellen, klar an den Tag legt. — Wohl aber ist es die erste Behandlung des Be- griffs des Ich, die uns hier interessirt. Ich schlage Fichte’s Sittenlehre auf, welche ich noch jetzt für seine Hauptschrift halte *). Den schon sonst gezeigten Schluſs- fehler, S. 14. 15., wo statt des Denkens der allgemeinere Begriff des Handelns, statt dieses wiederum der ihm un- tergeordnete des realen Handelns eingeschoben wird, werde ich hier nicht genauer ins Licht setzen; aber die Anmerkung S. 18. 19. ist von der höchsten Wichtigkeit für Fichte’s Lehre, und wir müssen sie auch hier er- wägen. Sie beginnt so: „Daſs das Wollen in der erklär- „ten Bedeutung, als absolut erscheine, ist Factum des „Bewuſstseyns; — daraus aber folgt nicht, daſs diese Er- „scheinung nicht selbst weiter erklärt, und abgeleitet wer- „den müsse, wodurch die Absolutheit aufhörte, Absolut- „heit zu seyn, und die Erscheinung derselben sich in „Schein verwandelte: — gerade so, wie es allerdings auch „erscheint, daſs bestimmte Dinge in Raum und Zeit un- „abhängig von uns da sind, und diese Erscheinung doch „weiter erklärt wird. — Wenn man sich nun doch ent- „schlieſst, diese Erscheinung nicht weiter zu erklären; „und sie für absolut unerklärbar, d. i. für Wahrheit, „und für unsre einige Wahrheit zu halten, nach der alle „andre Wahrheit beurtheilt, und gerichtet werden müsse, „— wie denn eben auf diese Entschlieſsung unsre ganze „Philosophie aufgebaut ist, — so geschieht dies nicht „zufolge einer theoretischen Einsicht, sondern zufolge *) Von Fichte’s späteren Schriften braucht hier eben so wenig die Rede zu seyn, als von einigen neuern Schriftstellern, die in den- selben Irrthümern befangen sind, wie die oben bezeichneten.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/93>, abgerufen am 09.11.2024.