klemmte. Welche von zweyen zusammenstossenden Vor- stellungsreihen wollen wir nun vergleichen mit der äu- ssern hemmenden Kraft; und welche andre mit dem Gegenstreben, worin, nach dem Obigen, das Gefühl der Klemmung enthalten war? Offenbar können wir sie beyde mit dem letzteren vergleichen. Also entsteht auch hier das nämliche Gefühl der Klemmung, aber nicht einmal, sondern zweymal. Und nun muss noch be- dacht werden, dass jede der geklemmten Vorstellungsrei- hen, gerade so wie oben, ihr eigenthümliches Ge- fühl in sich selbst enthalten kann. Also haben wir ein vierfaches Gefühl, wenn zwey Vorstellungsreihen zu- sammenstossen, und ein schnell wechselndes, wenn, wie in der vorhin kurz bezeichneten Ueberlegung, ihrer viele schnell nach einander hervordringen.
In jenem Beyspiele war nun noch etwas mehr ent- halten, nämlich nach der Klemmung während der Ueber- legung noch die Harmonie, worin sie sich auflöset. Darauf werden wir später zurückkommen.
C. Das Gegenstück zu der zwiefachen Klemmung, sowohl in der Gesellschaft, als in unserm eignen Innern, ist das Lebensgefühl, welches uns immer, wenn gleich oft bis zum unmerklichen geschwächt, begleitet. Ich rede hier nicht von dem organischen Gemeingefühl der Phy- siologen. Was den beschäfftigten und gesunden Mann nur selten so stark anwandelt, dass es sich über der Schwelle des Bewusstseyns halten könnte, während es freylich den Hypochondristen (und vielleicht nicht viel minder den sanguinischen Lüstling) unaufhörlich necken mag. Der Anfangspunct meiner Untersuchung liegt im Gebiete der Psychologie, und zwar im Capitel von der unmittelbaren Reproduction; (§. 81--85;) und auch die mittelbare Wieder-Erweckung hängt damit zusammen. Was wir geistiges Leben nennen, das ist ohne Zwei- fel jenes fast continuirliche Hervorquellen neuer Gedan- ken, die freylich auch der lebhafteste Kopf nicht aus sich selbst allein schöpft, die er aber doch veranlasst,
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klemmte. Welche von zweyen zusammenstoſsenden Vor- stellungsreihen wollen wir nun vergleichen mit der äu- ſsern hemmenden Kraft; und welche andre mit dem Gegenstreben, worin, nach dem Obigen, das Gefühl der Klemmung enthalten war? Offenbar können wir sie beyde mit dem letzteren vergleichen. Also entsteht auch hier das nämliche Gefühl der Klemmung, aber nicht einmal, sondern zweymal. Und nun muſs noch be- dacht werden, daſs jede der geklemmten Vorstellungsrei- hen, gerade so wie oben, ihr eigenthümliches Ge- fühl in sich selbst enthalten kann. Also haben wir ein vierfaches Gefühl, wenn zwey Vorstellungsreihen zu- sammenstoſsen, und ein schnell wechselndes, wenn, wie in der vorhin kurz bezeichneten Ueberlegung, ihrer viele schnell nach einander hervordringen.
In jenem Beyspiele war nun noch etwas mehr ent- halten, nämlich nach der Klemmung während der Ueber- legung noch die Harmonie, worin sie sich auflöset. Darauf werden wir später zurückkommen.
C. Das Gegenstück zu der zwiefachen Klemmung, sowohl in der Gesellschaft, als in unserm eignen Innern, ist das Lebensgefühl, welches uns immer, wenn gleich oft bis zum unmerklichen geschwächt, begleitet. Ich rede hier nicht von dem organischen Gemeingefühl der Phy- siologen. Was den beschäfftigten und gesunden Mann nur selten so stark anwandelt, daſs es sich über der Schwelle des Bewuſstseyns halten könnte, während es freylich den Hypochondristen (und vielleicht nicht viel minder den sanguinischen Lüstling) unaufhörlich necken mag. Der Anfangspunct meiner Untersuchung liegt im Gebiete der Psychologie, und zwar im Capitel von der unmittelbaren Reproduction; (§. 81—85;) und auch die mittelbare Wieder-Erweckung hängt damit zusammen. Was wir geistiges Leben nennen, das ist ohne Zwei- fel jenes fast continuirliche Hervorquellen neuer Gedan- ken, die freylich auch der lebhafteste Kopf nicht aus sich selbst allein schöpft, die er aber doch veranlaſst,
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klemmte. Welche von zweyen zusammenstoſsenden Vor-
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ſsern hemmenden Kraft; und welche andre mit dem
Gegenstreben, worin, nach dem Obigen, das Gefühl
der Klemmung enthalten war? Offenbar können wir
sie beyde mit dem letzteren vergleichen. Also entsteht
auch hier das nämliche Gefühl der Klemmung, aber nicht
einmal, sondern zweymal. Und nun muſs noch be-
dacht werden, daſs jede der geklemmten Vorstellungsrei-
hen, gerade so wie oben, ihr eigenthümliches Ge-
fühl in sich selbst enthalten kann. Also haben wir ein
vierfaches Gefühl, wenn zwey Vorstellungsreihen zu-
sammenstoſsen, und ein schnell wechselndes, wenn, wie
in der vorhin kurz bezeichneten Ueberlegung, ihrer viele
schnell nach einander hervordringen.
In jenem Beyspiele war nun noch etwas mehr ent-
halten, nämlich nach der Klemmung während der Ueber-
legung noch die Harmonie, worin sie sich auflöset.
Darauf werden wir später zurückkommen.
C. Das Gegenstück zu der zwiefachen Klemmung,
sowohl in der Gesellschaft, als in unserm eignen Innern,
ist das Lebensgefühl, welches uns immer, wenn gleich
oft bis zum unmerklichen geschwächt, begleitet. Ich rede
hier nicht von dem organischen Gemeingefühl der Phy-
siologen. Was den beschäfftigten und gesunden Mann
nur selten so stark anwandelt, daſs es sich über der
Schwelle des Bewuſstseyns halten könnte, während es
freylich den Hypochondristen (und vielleicht nicht viel
minder den sanguinischen Lüstling) unaufhörlich necken
mag. Der Anfangspunct meiner Untersuchung liegt im
Gebiete der Psychologie, und zwar im Capitel von der
unmittelbaren Reproduction; (§. 81—85;) und auch die
mittelbare Wieder-Erweckung hängt damit zusammen.
Was wir geistiges Leben nennen, das ist ohne Zwei-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/118>, abgerufen am 24.11.2024.
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