Nachdem nun solche Mittel und Maassregeln gefunden sind, welche allen Rücksichten Genüge leisten, endigt die Ueberlegung in ein Gefühl der innern Harmonie, und der Entschluss stellt sich vest; auch beginnt nun von neuem das gewohnte Handeln in den Kreisen des täglichen Lebens, welches, so lange die Ueberlegung dauerte, war gehemmt worden; nicht ohne ein Gefühl eines Druckes wie von aussen her; indem die täglichen, gewöhnlichen Geschäffte gleichsam ungeduldig wurden, und nicht länger warten wollten.
Diese unvollkommne Skizze hat längst von den Dich- tern ihre mannigfaltige Ausmalung erhalten. Aber hier kommt es nicht an auf den Schmuck, sondern auf Un- terscheidung der verschiedenen, zusammenstossenden Ge- dankenzüge; deren jeder, in gewissem Grade, den an- dern widerstrebt; und zwar so, dass jeder von den an- dern eine gewisse neue Aufregung und Lenkung annimmt; nur allein das moralische Urtheil ausgenommen, welches, so fern es wacht, unbiegsam vest steht; dagegen aber Gefahr läuft, mit Glimpf oder Gewalt -- durch Sophi- sterey oder durch die Begierde, ja oftmals und ganz be- sonders, durch die grosse Geläufigkeit des weltklugen Handelns, niedergedrückt zu werden. Dass der letztere Fall wiederum zwiefach ist, indem das moralische Urtheil entweder betäubt, oder verachtet wird (der Unterschied der Schwäche und des Bösen,) gehört nicht hieher.
Ueberhaupt ist die Gegenwart des moralischen Ur- theils für unsre jetzige Untersuchung nichts Wesentli- ches, sie dient hier bloss als ein bekanntes und vorzüg- lich passendes Beyspiel für den Stoss, den eine Vor- stellungsreihe von der andern erleidet, und für das Gefühl, welches daraus entsteht. Vergleicht man aber diesen Stoss mit jener gesellschaftlichen Hem- mung, von welcher vorhin die Rede war: so wird auf- fallen, dass jetzt beyde wider einander wirkende Kräfte in Einem und demselben Bewusstseyn vorhanden sind; während dort die Gesellschaft von aussen her wirkte und
Nachdem nun solche Mittel und Maaſsregeln gefunden sind, welche allen Rücksichten Genüge leisten, endigt die Ueberlegung in ein Gefühl der innern Harmonie, und der Entschluſs stellt sich vest; auch beginnt nun von neuem das gewohnte Handeln in den Kreisen des täglichen Lebens, welches, so lange die Ueberlegung dauerte, war gehemmt worden; nicht ohne ein Gefühl eines Druckes wie von auſsen her; indem die täglichen, gewöhnlichen Geschäffte gleichsam ungeduldig wurden, und nicht länger warten wollten.
Diese unvollkommne Skizze hat längst von den Dich- tern ihre mannigfaltige Ausmalung erhalten. Aber hier kommt es nicht an auf den Schmuck, sondern auf Un- terscheidung der verschiedenen, zusammenstoſsenden Ge- dankenzüge; deren jeder, in gewissem Grade, den an- dern widerstrebt; und zwar so, daſs jeder von den an- dern eine gewisse neue Aufregung und Lenkung annimmt; nur allein das moralische Urtheil ausgenommen, welches, so fern es wacht, unbiegsam vest steht; dagegen aber Gefahr läuft, mit Glimpf oder Gewalt — durch Sophi- sterey oder durch die Begierde, ja oftmals und ganz be- sonders, durch die groſse Geläufigkeit des weltklugen Handelns, niedergedrückt zu werden. Daſs der letztere Fall wiederum zwiefach ist, indem das moralische Urtheil entweder betäubt, oder verachtet wird (der Unterschied der Schwäche und des Bösen,) gehört nicht hieher.
Ueberhaupt ist die Gegenwart des moralischen Ur- theils für unsre jetzige Untersuchung nichts Wesentli- ches, sie dient hier bloſs als ein bekanntes und vorzüg- lich passendes Beyspiel für den Stoſs, den eine Vor- stellungsreihe von der andern erleidet, und für das Gefühl, welches daraus entsteht. Vergleicht man aber diesen Stoſs mit jener gesellschaftlichen Hem- mung, von welcher vorhin die Rede war: so wird auf- fallen, daſs jetzt beyde wider einander wirkende Kräfte in Einem und demselben Bewuſstseyn vorhanden sind; während dort die Gesellschaft von auſsen her wirkte und
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Nachdem nun solche Mittel und Maaſsregeln gefunden
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die Ueberlegung in ein Gefühl der innern Harmonie,
und der Entschluſs stellt sich vest; auch beginnt nun
von neuem das gewohnte Handeln in den Kreisen des
täglichen Lebens, welches, so lange die Ueberlegung
dauerte, war gehemmt worden; nicht ohne ein Gefühl
eines Druckes wie von auſsen her; indem die täglichen,
gewöhnlichen Geschäffte gleichsam ungeduldig wurden,
und nicht länger warten wollten.
Diese unvollkommne Skizze hat längst von den Dich-
tern ihre mannigfaltige Ausmalung erhalten. Aber hier
kommt es nicht an auf den Schmuck, sondern auf Un-
terscheidung der verschiedenen, zusammenstoſsenden Ge-
dankenzüge; deren jeder, in gewissem Grade, den an-
dern widerstrebt; und zwar so, daſs jeder von den an-
dern eine gewisse neue Aufregung und Lenkung annimmt;
nur allein das moralische Urtheil ausgenommen, welches,
so fern es wacht, unbiegsam vest steht; dagegen aber
Gefahr läuft, mit Glimpf oder Gewalt — durch Sophi-
sterey oder durch die Begierde, ja oftmals und ganz be-
sonders, durch die groſse Geläufigkeit des weltklugen
Handelns, niedergedrückt zu werden. Daſs der letztere
Fall wiederum zwiefach ist, indem das moralische Urtheil
entweder betäubt, oder verachtet wird (der Unterschied
der Schwäche und des Bösen,) gehört nicht hieher.
Ueberhaupt ist die Gegenwart des moralischen Ur-
theils für unsre jetzige Untersuchung nichts Wesentli-
ches, sie dient hier bloſs als ein bekanntes und vorzüg-
lich passendes Beyspiel für den Stoſs, den eine Vor-
stellungsreihe von der andern erleidet, und für
das Gefühl, welches daraus entsteht. Vergleicht
man aber diesen Stoſs mit jener gesellschaftlichen Hem-
mung, von welcher vorhin die Rede war: so wird auf-
fallen, daſs jetzt beyde wider einander wirkende Kräfte
in Einem und demselben Bewuſstseyn vorhanden sind;
während dort die Gesellschaft von auſsen her wirkte und
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/117>, abgerufen am 24.11.2024.
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