Accorde geben können. Denn die Gründe, warum dies alles so seyn muss, sind ganz allgemein, und für den körperlosen Geist genau die nämlichen wie bey uns sinn- lichen Menschen; trotz allen den thörichten Versuchen, Dinge dieser Art von Schwingungen der Nerven, oder gar der Saiten und Luftwellen abhängig zu machen; da- mit ja die Psychologie auf immer die Sclavin der Phy- siologie und der Physik bleiben möge!
Dasselbe, was hier von den Gefühlen in der Ver- schmelzung vor der Hemmung bemerkt worden, gilt nun auch, und sogar noch auffallender, von jenen andern Gefühlen, deren Sitz in den zugleich ablaufenden Rei- hen, ihrer gegenseitigen Begünstigung oder Hem- mung, zu suchen ist. So gewiss diese bey sinnlicher Lust und Unlust, während aller rauschenden Vergnügun- gen, aller flüchtigen, aus vorübergehendem Kitzel entste- henden Geniessungen, zutrifft; und so weit man auch das Symbol solcher Lust, nämlich Tanz nach der Musik, ausdehnen kann in seiner Bedeutung: eben so gewiss können die zugleich und in Verbindung ablaufenden Reihen auch eben so wohl ganz un- abhängig seyn von den Sinnen; und alsdann das reinste geistige Wohlseyn, oder sein Gegentheil er- zeugen. Daher jene Harmonie nach geendigter Ueberle- gung, oder beym Ueberblick wohldurchlebter Jahre, oder beym Durchdenken consequenter Systeme, zusammen- stimmender Beweise, kluger, nützlicher, und wohlthätiger Anstalten und Einrichtungen.
8) Daher darf man sich gar nicht wundern, in der Reihe der, aus der letztern Quelle entspringenden Ge- fühle auch jene einfachen und ursprünglichen Billigungen und Misbilligungen zu finden, auf deren Hervorhebung und deutlichen speculativen Darstellung die praktische Philosophie beruht. Mehrmals hat man von mir die psychologische Erörterung des Ursprungs der praktischen Ideen gefordert; meist mit einem Vorurtheil, welches die mindeste Bekanntschaft mit ästhetischen Gegenständen
Accorde geben können. Denn die Gründe, warum dies alles so seyn muſs, sind ganz allgemein, und für den körperlosen Geist genau die nämlichen wie bey uns sinn- lichen Menschen; trotz allen den thörichten Versuchen, Dinge dieser Art von Schwingungen der Nerven, oder gar der Saiten und Luftwellen abhängig zu machen; da- mit ja die Psychologie auf immer die Sclavin der Phy- siologie und der Physik bleiben möge!
Dasselbe, was hier von den Gefühlen in der Ver- schmelzung vor der Hemmung bemerkt worden, gilt nun auch, und sogar noch auffallender, von jenen andern Gefühlen, deren Sitz in den zugleich ablaufenden Rei- hen, ihrer gegenseitigen Begünstigung oder Hem- mung, zu suchen ist. So gewiſs diese bey sinnlicher Lust und Unlust, während aller rauschenden Vergnügun- gen, aller flüchtigen, aus vorübergehendem Kitzel entste- henden Genieſsungen, zutrifft; und so weit man auch das Symbol solcher Lust, nämlich Tanz nach der Musik, ausdehnen kann in seiner Bedeutung: eben so gewiſs können die zugleich und in Verbindung ablaufenden Reihen auch eben so wohl ganz un- abhängig seyn von den Sinnen; und alsdann das reinste geistige Wohlseyn, oder sein Gegentheil er- zeugen. Daher jene Harmonie nach geendigter Ueberle- gung, oder beym Ueberblick wohldurchlebter Jahre, oder beym Durchdenken consequenter Systeme, zusammen- stimmender Beweise, kluger, nützlicher, und wohlthätiger Anstalten und Einrichtungen.
8) Daher darf man sich gar nicht wundern, in der Reihe der, aus der letztern Quelle entspringenden Ge- fühle auch jene einfachen und ursprünglichen Billigungen und Misbilligungen zu finden, auf deren Hervorhebung und deutlichen speculativen Darstellung die praktische Philosophie beruht. Mehrmals hat man von mir die psychologische Erörterung des Ursprungs der praktischen Ideen gefordert; meist mit einem Vorurtheil, welches die mindeste Bekanntschaft mit ästhetischen Gegenständen
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Accorde geben können. Denn die Gründe, warum dies
alles so seyn muſs, sind ganz allgemein, und für den
körperlosen Geist genau die nämlichen wie bey uns sinn-
lichen Menschen; trotz allen den thörichten Versuchen,
Dinge dieser Art von Schwingungen der Nerven, oder
gar der Saiten und Luftwellen abhängig zu machen; da-
mit ja die Psychologie auf immer die Sclavin der Phy-
siologie und der Physik bleiben möge!
Dasselbe, was hier von den Gefühlen in der Ver-
schmelzung vor der Hemmung bemerkt worden, gilt nun
auch, und sogar noch auffallender, von jenen andern
Gefühlen, deren Sitz in den zugleich ablaufenden Rei-
hen, ihrer gegenseitigen Begünstigung oder Hem-
mung, zu suchen ist. So gewiſs diese bey sinnlicher
Lust und Unlust, während aller rauschenden Vergnügun-
gen, aller flüchtigen, aus vorübergehendem Kitzel entste-
henden Genieſsungen, zutrifft; und so weit man auch
das Symbol solcher Lust, nämlich Tanz nach der
Musik, ausdehnen kann in seiner Bedeutung: eben so
gewiſs können die zugleich und in Verbindung
ablaufenden Reihen auch eben so wohl ganz un-
abhängig seyn von den Sinnen; und alsdann das
reinste geistige Wohlseyn, oder sein Gegentheil er-
zeugen. Daher jene Harmonie nach geendigter Ueberle-
gung, oder beym Ueberblick wohldurchlebter Jahre, oder
beym Durchdenken consequenter Systeme, zusammen-
stimmender Beweise, kluger, nützlicher, und wohlthätiger
Anstalten und Einrichtungen.
8) Daher darf man sich gar nicht wundern, in der
Reihe der, aus der letztern Quelle entspringenden Ge-
fühle auch jene einfachen und ursprünglichen Billigungen
und Misbilligungen zu finden, auf deren Hervorhebung
und deutlichen speculativen Darstellung die praktische
Philosophie beruht. Mehrmals hat man von mir die
psychologische Erörterung des Ursprungs der praktischen
Ideen gefordert; meist mit einem Vorurtheil, welches die
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/130>, abgerufen am 21.11.2024.
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