sind, sondern sich nach dem durch Umstände bestimmten psychologischen Mechanismus rich- ten. Hier ist die Entbehrung mit Unlust verbunden; die Befriedigung aber darum mit Lust, weil die Begierde voranging, die ihrem Gegenstande einen ihm au- sserdem nicht zukommenden Werth beylegte.
Hievon wollen wir nun eine kurze Anwendung ma- chen auf die Leidenschaften, von denen wir wissen, dass sie die Stämme sind, aus denen ein heftiges Begehren, sich gleichartig wiederhohlend, hervorwächst. Es kann uns nämlich jetzt nicht mehr wundern, wenn wir sehen, dass die Leidenschaften den seltsamsten und widrigsten Contrast nicht bloss mit dem bilden, was wirklich zum Wohlseyn des Menschen gehört, sondern auch mit dem, was er als sein wahres Glück anerkennt, was er bey ru- higer Ueberlegung wirklich anstrebt, ja selbst was er in seinen Phantasien sich als heitern Lebensgenuss ausmalt. Dies könnte nicht Statt finden, wenn die zu Leidenschaft ten gesteigerten Begierden in irgend einem wesentlichen Zusammenhange stünden mit den Gefühlen des Ange- nehmen und Unangenehmen.
Weit davon entfernt, stören sie noch überdies das heitere Spiel mannigfaltiger Vorstellungsreihen, woraus die Lustgefühle hervorgehn. Die Leidenschaften sind vielmehr der Ausdruck des rohen psychologischen Me- chanismus, wie er sich da erzeugt, wo natürliche Begier- den lange unbefriedigt bleiben; wo alte Gewohnheiten ohne Schonung Gewalt erleiden; wo betäubende Genie- ssungen oftmals wiederkehren; wo einerley Affect sich unbewacht und ungedämpft durch fortwährende Reizung erneuert; wo das wahre ästhetische Urtheil ungebildet hlieb, und dagegen vorgespiegelte Güter und Uebel den Geist lange beschäfftigen; und wo die Spannung, der Krampf, welcher in solchen Lagen entstand, die Vor- stellungsreihen hier hemmte, dort verknüpfte, so dass die Reproductionsgesetze sich darnach einrichten, von allen Seiten auf denselben Punct zurückführen, und hiedurch
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sind, sondern sich nach dem durch Umstände bestimmten psychologischen Mechanismus rich- ten. Hier ist die Entbehrung mit Unlust verbunden; die Befriedigung aber darum mit Lust, weil die Begierde voranging, die ihrem Gegenstande einen ihm au- ſserdem nicht zukommenden Werth beylegte.
Hievon wollen wir nun eine kurze Anwendung ma- chen auf die Leidenschaften, von denen wir wissen, daſs sie die Stämme sind, aus denen ein heftiges Begehren, sich gleichartig wiederhohlend, hervorwächst. Es kann uns nämlich jetzt nicht mehr wundern, wenn wir sehen, daſs die Leidenschaften den seltsamsten und widrigsten Contrast nicht bloſs mit dem bilden, was wirklich zum Wohlseyn des Menschen gehört, sondern auch mit dem, was er als sein wahres Glück anerkennt, was er bey ru- higer Ueberlegung wirklich anstrebt, ja selbst was er in seinen Phantasien sich als heitern Lebensgenuſs ausmalt. Dies könnte nicht Statt finden, wenn die zu Leidenschaft ten gesteigerten Begierden in irgend einem wesentlichen Zusammenhange stünden mit den Gefühlen des Ange- nehmen und Unangenehmen.
Weit davon entfernt, stören sie noch überdies das heitere Spiel mannigfaltiger Vorstellungsreihen, woraus die Lustgefühle hervorgehn. Die Leidenschaften sind vielmehr der Ausdruck des rohen psychologischen Me- chanismus, wie er sich da erzeugt, wo natürliche Begier- den lange unbefriedigt bleiben; wo alte Gewohnheiten ohne Schonung Gewalt erleiden; wo betäubende Genie- ſsungen oftmals wiederkehren; wo einerley Affect sich unbewacht und ungedämpft durch fortwährende Reizung erneuert; wo das wahre ästhetische Urtheil ungebildet hlieb, und dagegen vorgespiegelte Güter und Uebel den Geist lange beschäfftigen; und wo die Spannung, der Krampf, welcher in solchen Lagen entstand, die Vor- stellungsreihen hier hemmte, dort verknüpfte, so daſs die Reproductionsgesetze sich darnach einrichten, von allen Seiten auf denselben Punct zurückführen, und hiedurch
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sind, sondern sich nach dem durch Umstände
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ten. Hier ist die Entbehrung mit Unlust verbunden; die
Befriedigung aber darum mit Lust, weil die Begierde
voranging, die ihrem Gegenstande einen ihm au-
ſserdem nicht zukommenden Werth beylegte.
Hievon wollen wir nun eine kurze Anwendung ma-
chen auf die Leidenschaften, von denen wir wissen, daſs
sie die Stämme sind, aus denen ein heftiges Begehren,
sich gleichartig wiederhohlend, hervorwächst. Es kann
uns nämlich jetzt nicht mehr wundern, wenn wir sehen,
daſs die Leidenschaften den seltsamsten und widrigsten
Contrast nicht bloſs mit dem bilden, was wirklich zum
Wohlseyn des Menschen gehört, sondern auch mit dem,
was er als sein wahres Glück anerkennt, was er bey ru-
higer Ueberlegung wirklich anstrebt, ja selbst was er in
seinen Phantasien sich als heitern Lebensgenuſs ausmalt.
Dies könnte nicht Statt finden, wenn die zu Leidenschaft
ten gesteigerten Begierden in irgend einem wesentlichen
Zusammenhange stünden mit den Gefühlen des Ange-
nehmen und Unangenehmen.
Weit davon entfernt, stören sie noch überdies das
heitere Spiel mannigfaltiger Vorstellungsreihen, woraus
die Lustgefühle hervorgehn. Die Leidenschaften sind
vielmehr der Ausdruck des rohen psychologischen Me-
chanismus, wie er sich da erzeugt, wo natürliche Begier-
den lange unbefriedigt bleiben; wo alte Gewohnheiten
ohne Schonung Gewalt erleiden; wo betäubende Genie-
ſsungen oftmals wiederkehren; wo einerley Affect sich
unbewacht und ungedämpft durch fortwährende Reizung
erneuert; wo das wahre ästhetische Urtheil ungebildet
hlieb, und dagegen vorgespiegelte Güter und Uebel den
Geist lange beschäfftigen; und wo die Spannung, der
Krampf, welcher in solchen Lagen entstand, die Vor-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/150>, abgerufen am 21.11.2024.
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