stellung des Raums von der Vorstellung der Zeit ab- hängig machen?
Endlich der eigentlich wissenschaftliche Begriff der Zahl, welcher kein andrer als der des Mehr und Min- der, und dabey empfänglich ist nicht nur für alle Brüche, sondern auch für alle irrationale Grössen: dieser ist von noch früherem Ursprunge als die ganzen Zahlen. Denn das Mehr und Minder erkennt man gar leicht an Raum- grössen. Einerley Reproduction giebt einerley Raum- grössse; darauf beruht das Messen mit dem Auge; aber wenn die Reproduction entweder nicht ausreicht, um sich einem Gegebenen anzupassen, oder wenn sie sich gehemmt findet, ehe sie zu Ende kommt, so wird in jenem Falle ein Mehr, in diesem ein Minder bemerkt. Die allgemeinen Begriffe hievon, und mit ihnen auch die bestimmten Zahlbegriffe, bilden sich allmählig aus wie alle andern allgemeinen Begriffe; wovon das Weitere im nächsten Capitel.
Viertes Capitel. Von den ersten Spuren des sogenannten obern Erkenntnissvermögens.
§. 117.
Vorwärts schreitend in der Richtung, die wir im Anfange des dritten Capitels genommen, trifft die Ana- lyse jetzt zunächst auf das Factum, dass wir nicht bloss ein Räumliches und Zeitliches überhaupt, sondern räum- liche Dinge und zeitliche Begegnisse, die sich mit den Dingen zutragen, wahrzunehmen glauben. Nun kann zwar auf keine Weise eingeräumt werden, dass in den gemeinen Vorstellungen der Dinge schon der Be- griff der Substanz, in denen der Begegnisse der Be- griff von Wirkungen gewisser Kräfte, enthalten sey;
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stellung des Raums von der Vorstellung der Zeit ab- hängig machen?
Endlich der eigentlich wissenschaftliche Begriff der Zahl, welcher kein andrer als der des Mehr und Min- der, und dabey empfänglich ist nicht nur für alle Brüche, sondern auch für alle irrationale Gröſsen: dieser ist von noch früherem Ursprunge als die ganzen Zahlen. Denn das Mehr und Minder erkennt man gar leicht an Raum- gröſsen. Einerley Reproduction giebt einerley Raum- gröſsse; darauf beruht das Messen mit dem Auge; aber wenn die Reproduction entweder nicht ausreicht, um sich einem Gegebenen anzupassen, oder wenn sie sich gehemmt findet, ehe sie zu Ende kommt, so wird in jenem Falle ein Mehr, in diesem ein Minder bemerkt. Die allgemeinen Begriffe hievon, und mit ihnen auch die bestimmten Zahlbegriffe, bilden sich allmählig aus wie alle andern allgemeinen Begriffe; wovon das Weitere im nächsten Capitel.
Viertes Capitel. Von den ersten Spuren des sogenannten obern Erkenntniſsvermögens.
§. 117.
Vorwärts schreitend in der Richtung, die wir im Anfange des dritten Capitels genommen, trifft die Ana- lyse jetzt zunächst auf das Factum, daſs wir nicht bloſs ein Räumliches und Zeitliches überhaupt, sondern räum- liche Dinge und zeitliche Begegnisse, die sich mit den Dingen zutragen, wahrzunehmen glauben. Nun kann zwar auf keine Weise eingeräumt werden, daſs in den gemeinen Vorstellungen der Dinge schon der Be- griff der Substanz, in denen der Begegnisse der Be- griff von Wirkungen gewisser Kräfte, enthalten sey;
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stellung des Raums von der Vorstellung der Zeit ab-
hängig machen?
Endlich der eigentlich wissenschaftliche Begriff der
Zahl, welcher kein andrer als der des Mehr und Min-
der, und dabey empfänglich ist nicht nur für alle Brüche,
sondern auch für alle irrationale Gröſsen: dieser ist von
noch früherem Ursprunge als die ganzen Zahlen. Denn
das Mehr und Minder erkennt man gar leicht an Raum-
gröſsen. Einerley Reproduction giebt einerley Raum-
gröſsse; darauf beruht das Messen mit dem Auge; aber
wenn die Reproduction entweder nicht ausreicht,
um sich einem Gegebenen anzupassen, oder wenn
sie sich gehemmt findet, ehe sie zu Ende kommt,
so wird in jenem Falle ein Mehr, in diesem ein
Minder bemerkt. Die allgemeinen Begriffe hievon,
und mit ihnen auch die bestimmten Zahlbegriffe, bilden
sich allmählig aus wie alle andern allgemeinen Begriffe;
wovon das Weitere im nächsten Capitel.
Viertes Capitel.
Von den ersten Spuren des sogenannten obern
Erkenntniſsvermögens.
§. 117.
Vorwärts schreitend in der Richtung, die wir im
Anfange des dritten Capitels genommen, trifft die Ana-
lyse jetzt zunächst auf das Factum, daſs wir nicht bloſs
ein Räumliches und Zeitliches überhaupt, sondern räum-
liche Dinge und zeitliche Begegnisse, die sich mit
den Dingen zutragen, wahrzunehmen glauben. Nun
kann zwar auf keine Weise eingeräumt werden, daſs in
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/198>, abgerufen am 24.11.2024.
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