Ursache ist etwas ganz anderes als ein Vorzeichen, an dessen Zusammenhang mit dem Erfolge ohne Umstände geglaubt wird, weil der psychologische Mechanismus die eine Vorstellung nach der andern vermöge einer Ver- schmelzungshülfe zu Tage fördert.
Während nun Kant sich viel zu viel Mühe macht mit denjenigen Verknüpfungen, wodurch das Mannigfal- tige der Empfindung gruppirt wird zu Dingen und Bege- benheiten: ist er dagegen bis zur äussersten Vorschnel- ligkeit freygebig mit dem: Ich denke, welches, wie er sagt, alle unsre Vorstellungen muss begleiten können. Bey diesem Können dringt sich die Frage auf, warum es sie denn nicht wirklich überall begleitet? Wann und unter welchen Umständen, nach welchen Ge- setzen, diese Begleitung wirklich eintritt? Nach wel- chen andern Gesetzen sie unter andern Umständen aus- bleibt? Eine Frage, die freylich eine allgemeine Satyre auf alle Seelenvermögen enthält. -- Wir aber haben oben gesehen, (ganz im Anfange des ersten Theils die- ses Buchs,) dass der Begriff des Ich an innern Wider- sprüchen leidet; daher es sogar um das Begleiten- Können eine bedenkliche Sache ist. Denn entweder ist das Begleitende wirklich die ächte Vorstellung des Ich, -- so fragt sich, woher denn diese widersprechende Vorstellung ihren Ursprung nehme, und warum sie sich den Wahrnehmungen anhängen möge: oder es ist nicht die ächte Vorstellung des Ich, als der Identität des Ob- jects und Subjects; -- dann fragt sich, welche Verwandt- schaft sie mit derselben habe, warum sie mit jener ver- wechselt werde, -- und überdies noch wie oben, wie es zugehe, dass sie sich mit den übrigen Vorstellungen ver- knüpfe. Dass man alle diese Fragen hat überspringen können, beweiset nichts anderes, als dass man von einer Psychologie zwar viel redete, aber nicht einmal die ersten Bedingungen überdachte, unter denen sich Jemand schmei- cheln dürfte, diese Wissenschaft zu besitzen. Uebrigens ist die Erwähnung des Selbstbewusstseyns völlig unnöthig
Ursache ist etwas ganz anderes als ein Vorzeichen, an dessen Zusammenhang mit dem Erfolge ohne Umstände geglaubt wird, weil der psychologische Mechanismus die eine Vorstellung nach der andern vermöge einer Ver- schmelzungshülfe zu Tage fördert.
Während nun Kant sich viel zu viel Mühe macht mit denjenigen Verknüpfungen, wodurch das Mannigfal- tige der Empfindung gruppirt wird zu Dingen und Bege- benheiten: ist er dagegen bis zur äuſsersten Vorschnel- ligkeit freygebig mit dem: Ich denke, welches, wie er sagt, alle unsre Vorstellungen muſs begleiten können. Bey diesem Können dringt sich die Frage auf, warum es sie denn nicht wirklich überall begleitet? Wann und unter welchen Umständen, nach welchen Ge- setzen, diese Begleitung wirklich eintritt? Nach wel- chen andern Gesetzen sie unter andern Umständen aus- bleibt? Eine Frage, die freylich eine allgemeine Satyre auf alle Seelenvermögen enthält. — Wir aber haben oben gesehen, (ganz im Anfange des ersten Theils die- ses Buchs,) daſs der Begriff des Ich an innern Wider- sprüchen leidet; daher es sogar um das Begleiten- Können eine bedenkliche Sache ist. Denn entweder ist das Begleitende wirklich die ächte Vorstellung des Ich, — so fragt sich, woher denn diese widersprechende Vorstellung ihren Ursprung nehme, und warum sie sich den Wahrnehmungen anhängen möge: oder es ist nicht die ächte Vorstellung des Ich, als der Identität des Ob- jects und Subjects; — dann fragt sich, welche Verwandt- schaft sie mit derselben habe, warum sie mit jener ver- wechselt werde, — und überdies noch wie oben, wie es zugehe, daſs sie sich mit den übrigen Vorstellungen ver- knüpfe. Daſs man alle diese Fragen hat überspringen können, beweiset nichts anderes, als daſs man von einer Psychologie zwar viel redete, aber nicht einmal die ersten Bedingungen überdachte, unter denen sich Jemand schmei- cheln dürfte, diese Wissenschaft zu besitzen. Uebrigens ist die Erwähnung des Selbstbewuſstseyns völlig unnöthig
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Ursache ist etwas ganz anderes als ein Vorzeichen, an
dessen Zusammenhang mit dem Erfolge ohne Umstände
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eine Vorstellung nach der andern vermöge einer Ver-
schmelzungshülfe zu Tage fördert.
Während nun Kant sich viel zu viel Mühe macht
mit denjenigen Verknüpfungen, wodurch das Mannigfal-
tige der Empfindung gruppirt wird zu Dingen und Bege-
benheiten: ist er dagegen bis zur äuſsersten Vorschnel-
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sagt, alle unsre Vorstellungen muſs begleiten können.
Bey diesem Können dringt sich die Frage auf, warum
es sie denn nicht wirklich überall begleitet?
Wann und unter welchen Umständen, nach welchen Ge-
setzen, diese Begleitung wirklich eintritt? Nach wel-
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bleibt? Eine Frage, die freylich eine allgemeine Satyre
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oben gesehen, (ganz im Anfange des ersten Theils die-
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sprüchen leidet; daher es sogar um das Begleiten-
Können eine bedenkliche Sache ist. Denn entweder
ist das Begleitende wirklich die ächte Vorstellung des
Ich, — so fragt sich, woher denn diese widersprechende
Vorstellung ihren Ursprung nehme, und warum sie sich
den Wahrnehmungen anhängen möge: oder es ist nicht
die ächte Vorstellung des Ich, als der Identität des Ob-
jects und Subjects; — dann fragt sich, welche Verwandt-
schaft sie mit derselben habe, warum sie mit jener ver-
wechselt werde, — und überdies noch wie oben, wie es
zugehe, daſs sie sich mit den übrigen Vorstellungen ver-
knüpfe. Daſs man alle diese Fragen hat überspringen
können, beweiset nichts anderes, als daſs man von einer
Psychologie zwar viel redete, aber nicht einmal die ersten
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/205>, abgerufen am 22.11.2024.
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