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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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erinnern, dass viele Auffassungen zusammengenom-
men keineswegs ursprünglich als Vieles aufgefasst
werden; und zwar gerade wegen der Verbindung, die sie
eingehn. Ohne die Reproductionsgesetze, die Eins zwi-
schen
Anderes setzen, würde es eben so wenig jemals
eine Kategorie der Quantität gegeben haben, als einen
Raum und eine Zeit; denn die Einheit der Seele würde
die Theile des Vielen so völlig verschlingen, und in sich
versenken, dass gar kein Mannigfaltiges mehr in ihm
könnte geschieden werden; -- genau so, wie die Einheit
jedes einzelnen Dinges zu Stande kommt, wie gross auch
die Anzahl und die Verschiedenheit der Merkmale seyn
möge, deren Vorstellungen zusammengenommen die Vor-
stellung des Dinges selbst sind. Man muss sich daher
dasjenige vergegenwärtigen, was oben über Raum, Zeit,
und Zahl gesagt worden; und man muss dies alles jetzt
näher bestimmen durch die allgemeine Ueberlegung, dass
Gesammt-Eindrücke des Aehnlichen, wie zu allen Be-
griffen, eben so auch zu Grössenbegriffen die Grundlage
abgeben können. Am Ende des §. 114. war von der
Reproduction wegen der Gestalt die Rede. Man erwei-
tere dies auf die Reproduction gleicher Rhythmen, und
gleicher Fortschreitungen unter den Zahlen; man bedenke,
welche Verschmelzung oft wiederhohlter, ähnlicher Grö-
ssen-Vorstellungen nothwendig vor sich gehn müsse;
man wird auf diese Weise den Weg zu den Grössen-
Begriffen geöffnet finden.

Was insbesondere die Zahlen anlangt: so scheint
hier alles Zwischen-Liegende, welches die darin enthal-
tenen Einheiten trennen könnte, zu mangeln; daher denn,
nach der obigen Bemerkung, ihre Vielheit ganz zusam-
men fallen, und jede Zahl gleich Eins werden sollte.
Allein gerade dies beweis't, dass die Zahlbegriffe nichts
Primitives sind, und dass ihnen eine dunkle Voraus-
setzung anklebt, die man nachweisen muss, um sie zu
verstehn. Die ursprünglichen Zahlen sind Anzahlen ge-
sonderter Gegenstände; wie zwölf Stühle, zwölf Personen.

erinnern, daſs viele Auffassungen zusammengenom-
men keineswegs ursprünglich als Vieles aufgefaſst
werden; und zwar gerade wegen der Verbindung, die sie
eingehn. Ohne die Reproductionsgesetze, die Eins zwi-
schen
Anderes setzen, würde es eben so wenig jemals
eine Kategorie der Quantität gegeben haben, als einen
Raum und eine Zeit; denn die Einheit der Seele würde
die Theile des Vielen so völlig verschlingen, und in sich
versenken, daſs gar kein Mannigfaltiges mehr in ihm
könnte geschieden werden; — genau so, wie die Einheit
jedes einzelnen Dinges zu Stande kommt, wie groſs auch
die Anzahl und die Verschiedenheit der Merkmale seyn
möge, deren Vorstellungen zusammengenommen die Vor-
stellung des Dinges selbst sind. Man muſs sich daher
dasjenige vergegenwärtigen, was oben über Raum, Zeit,
und Zahl gesagt worden; und man muſs dies alles jetzt
näher bestimmen durch die allgemeine Ueberlegung, daſs
Gesammt-Eindrücke des Aehnlichen, wie zu allen Be-
griffen, eben so auch zu Gröſsenbegriffen die Grundlage
abgeben können. Am Ende des §. 114. war von der
Reproduction wegen der Gestalt die Rede. Man erwei-
tere dies auf die Reproduction gleicher Rhythmen, und
gleicher Fortschreitungen unter den Zahlen; man bedenke,
welche Verschmelzung oft wiederhohlter, ähnlicher Grö-
ſsen-Vorstellungen nothwendig vor sich gehn müsse;
man wird auf diese Weise den Weg zu den Gröſsen-
Begriffen geöffnet finden.

Was insbesondere die Zahlen anlangt: so scheint
hier alles Zwischen-Liegende, welches die darin enthal-
tenen Einheiten trennen könnte, zu mangeln; daher denn,
nach der obigen Bemerkung, ihre Vielheit ganz zusam-
men fallen, und jede Zahl gleich Eins werden sollte.
Allein gerade dies beweis’t, daſs die Zahlbegriffe nichts
Primitives sind, und daſs ihnen eine dunkle Voraus-
setzung anklebt, die man nachweisen muſs, um sie zu
verstehn. Die ursprünglichen Zahlen sind Anzahlen ge-
sonderter Gegenstände; wie zwölf Stühle, zwölf Personen.

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[200/0235] erinnern, daſs viele Auffassungen zusammengenom- men keineswegs ursprünglich als Vieles aufgefaſst werden; und zwar gerade wegen der Verbindung, die sie eingehn. Ohne die Reproductionsgesetze, die Eins zwi- schen Anderes setzen, würde es eben so wenig jemals eine Kategorie der Quantität gegeben haben, als einen Raum und eine Zeit; denn die Einheit der Seele würde die Theile des Vielen so völlig verschlingen, und in sich versenken, daſs gar kein Mannigfaltiges mehr in ihm könnte geschieden werden; — genau so, wie die Einheit jedes einzelnen Dinges zu Stande kommt, wie groſs auch die Anzahl und die Verschiedenheit der Merkmale seyn möge, deren Vorstellungen zusammengenommen die Vor- stellung des Dinges selbst sind. Man muſs sich daher dasjenige vergegenwärtigen, was oben über Raum, Zeit, und Zahl gesagt worden; und man muſs dies alles jetzt näher bestimmen durch die allgemeine Ueberlegung, daſs Gesammt-Eindrücke des Aehnlichen, wie zu allen Be- griffen, eben so auch zu Gröſsenbegriffen die Grundlage abgeben können. Am Ende des §. 114. war von der Reproduction wegen der Gestalt die Rede. Man erwei- tere dies auf die Reproduction gleicher Rhythmen, und gleicher Fortschreitungen unter den Zahlen; man bedenke, welche Verschmelzung oft wiederhohlter, ähnlicher Grö- ſsen-Vorstellungen nothwendig vor sich gehn müsse; man wird auf diese Weise den Weg zu den Gröſsen- Begriffen geöffnet finden. Was insbesondere die Zahlen anlangt: so scheint hier alles Zwischen-Liegende, welches die darin enthal- tenen Einheiten trennen könnte, zu mangeln; daher denn, nach der obigen Bemerkung, ihre Vielheit ganz zusam- men fallen, und jede Zahl gleich Eins werden sollte. Allein gerade dies beweis’t, daſs die Zahlbegriffe nichts Primitives sind, und daſs ihnen eine dunkle Voraus- setzung anklebt, die man nachweisen muſs, um sie zu verstehn. Die ursprünglichen Zahlen sind Anzahlen ge- sonderter Gegenstände; wie zwölf Stühle, zwölf Personen.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/235>, abgerufen am 24.11.2024.