dass ein Publicum, welches die Nothwendigkeit solcher Umwandlung nicht einsieht, gerade des- halb die wechselnden Systeme für bloss spie- lende Erscheinungen hält. Sie sollen durch die Geschichte belehrt seyn, dass der Faden dieser Umwandlungen Gefahr läuft, vor der Zeit sei- ner Abwickelung zerrissen zu werden, sobald ein öffentlicher Unglaube an Systeme als solche, dahin strebt, dieselben im Entstehen zu vernich- ten. Griechenland verlor den Faden, als seine besten Köpfe Skeptiker wurden; sie wurden es aber, als die Anregung, welche die Natur dem Denken giebt, überwogen wurde von dem Ab- schreckenden, welches der Streit der Lehrmei- nungen mit sich bringt. Deutschland steht jetzt auf demselben Puncte! Und die Fluth der Jour- nale, welche den Tag beherrschen, weil es für die Jahrzehende keine sichere Herrschaft mehr giebt, steigert bey uns das Uebel noch weit hö- her. -- Die Philosophie gilt in solchen Zeiten für einen geistigen Luxus; und es finden sich Menschen genug, deren rasche Federn sich zu Dienerinnen dieses Luxus herabwürdigen. Diese geben der Philosophie den letzten Stoss. Sie werden sie auch bey uns vernichten, wenn nicht der reinste Wille, verbunden mit ächter specu- lativer Kraft, sich entgegenstemmt, und in dem- selben Geiste fortarbeitet, welcher die grossen Denker der Vorzeit getrieben hat.
Ganze Jahrhunderte können philosophiren, und mit allem Fleiss und Eifer sich streiten und Schulen bilden, ohne dass darum die Philoso- phie selbst (die nur Eine ist, soviel auch von Philosophieen in der Mehrzahl geplaudert
II. **
daſs ein Publicum, welches die Nothwendigkeit solcher Umwandlung nicht einsieht, gerade des- halb die wechselnden Systeme für bloſs spie- lende Erscheinungen hält. Sie sollen durch die Geschichte belehrt seyn, daſs der Faden dieser Umwandlungen Gefahr läuft, vor der Zeit sei- ner Abwickelung zerrissen zu werden, sobald ein öffentlicher Unglaube an Systeme als solche, dahin strebt, dieselben im Entstehen zu vernich- ten. Griechenland verlor den Faden, als seine besten Köpfe Skeptiker wurden; sie wurden es aber, als die Anregung, welche die Natur dem Denken giebt, überwogen wurde von dem Ab- schreckenden, welches der Streit der Lehrmei- nungen mit sich bringt. Deutschland steht jetzt auf demselben Puncte! Und die Fluth der Jour- nale, welche den Tag beherrschen, weil es für die Jahrzehende keine sichere Herrschaft mehr giebt, steigert bey uns das Uebel noch weit hö- her. — Die Philosophie gilt in solchen Zeiten für einen geistigen Luxus; und es finden sich Menschen genug, deren rasche Federn sich zu Dienerinnen dieses Luxus herabwürdigen. Diese geben der Philosophie den letzten Stoſs. Sie werden sie auch bey uns vernichten, wenn nicht der reinste Wille, verbunden mit ächter specu- lativer Kraft, sich entgegenstemmt, und in dem- selben Geiste fortarbeitet, welcher die groſsen Denker der Vorzeit getrieben hat.
Ganze Jahrhunderte können philosophiren, und mit allem Fleiſs und Eifer sich streiten und Schulen bilden, ohne daſs darum die Philoso- phie selbst (die nur Eine ist, soviel auch von Philosophieen in der Mehrzahl geplaudert
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[XVII/0024]
daſs ein Publicum, welches die Nothwendigkeit
solcher Umwandlung nicht einsieht, gerade des-
halb die wechselnden Systeme für bloſs spie-
lende Erscheinungen hält. Sie sollen durch die
Geschichte belehrt seyn, daſs der Faden dieser
Umwandlungen Gefahr läuft, vor der Zeit sei-
ner Abwickelung zerrissen zu werden, sobald
ein öffentlicher Unglaube an Systeme als solche,
dahin strebt, dieselben im Entstehen zu vernich-
ten. Griechenland verlor den Faden, als seine
besten Köpfe Skeptiker wurden; sie wurden es
aber, als die Anregung, welche die Natur dem
Denken giebt, überwogen wurde von dem Ab-
schreckenden, welches der Streit der Lehrmei-
nungen mit sich bringt. Deutschland steht jetzt
auf demselben Puncte! Und die Fluth der Jour-
nale, welche den Tag beherrschen, weil es für
die Jahrzehende keine sichere Herrschaft mehr
giebt, steigert bey uns das Uebel noch weit hö-
her. — Die Philosophie gilt in solchen Zeiten
für einen geistigen Luxus; und es finden sich
Menschen genug, deren rasche Federn sich zu
Dienerinnen dieses Luxus herabwürdigen. Diese
geben der Philosophie den letzten Stoſs. Sie
werden sie auch bey uns vernichten, wenn nicht
der reinste Wille, verbunden mit ächter specu-
lativer Kraft, sich entgegenstemmt, und in dem-
selben Geiste fortarbeitet, welcher die groſsen
Denker der Vorzeit getrieben hat.
Ganze Jahrhunderte können philosophiren,
und mit allem Fleiſs und Eifer sich streiten und
Schulen bilden, ohne daſs darum die Philoso-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. XVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/24>, abgerufen am 03.12.2024.
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